Angélique - Am Hof des Königs
Wunsch, in diese Finsternis einzutauchen und genau wie Marguerite in der feuchten Dunkelheit zu verschwinden.
»Wo bleibst du?«, fragte die trockene Stimme des Marquis de Vardes.
»Ich verbiete Euch, mich zu duzen«, schrie sie, als der Zorn sie rasch wieder zur Besinnung brachte.
»Ich duze alle Frauen, die ich genommen habe.«
»Eure Gewohnheiten kümmern mich nicht. Lasst mich in Ruhe.«
»Sieh an, sieh an, vorhin warst du nicht so hochmütig. Ich hatte nicht den Eindruck, dass ich dir so zuwider wäre.«
»Vorhin war vorhin, und jetzt ist jetzt. Und jetzt verabscheue ich Euch.«
»Ich verabscheue Euch«, wiederholte sie mehrmals zwischen zusammengebissenen Zähnen und spuckte in seine Richtung.
Dann ging sie, über den Unrat am Ufer stolpernd, los.
Es war stockfinster. Nur hier und da erhellte eine Laterne ein Ladenschild oder die Toreinfahrt eines Bürgerhauses.
Angélique wusste, dass der Pont-Neuf zu ihrer Rechten lag. Ohne größere Mühe entdeckte sie das weiße Brückengeländer, doch als sie die ersten Schritte auf die Brücke tat, richtete sich eine Art menschliche Larve vor ihr auf. An dem ekelerregenden Geruch erkannte sie, dass es einer der Bettler war, die sie tagsüber so erschreckt hatten. Mit einem gellenden Aufschrei wich sie zurück. Hinter sich hörte sie hastige Schritte, dann erklang die Stimme des Marquis de Vardes.
»Zurück, du Lump, oder du bekommst meinen Stahl zu spüren!«
Sein Gegenüber blieb mitten auf der Brücke stehen.
»Erbarmen, edler Herr! Ich bin nur ein armer Blinder.«
»Nicht so blind, dass du nicht meine Börse erkennen könntest, um sie abzuschneiden!«
Vardes drückte die Spitze seines Schwerts gegen den Bauch der unförmigen Gestalt, die zusammenzuckte und jammernd das Weite suchte.
»Also, wollt Ihr mir jetzt sagen, wo Ihr wohnt?«, fragte der Offizier kühl.
Widerwillig nannte Angélique ihm die Adresse ihres Schwagers, des Prokurators. Dieses nächtliche Paris machte ihr Angst. Sie spürte, dass es von unsichtbaren Wesen wimmelte, einem unterirdischen Leben gleich dem der Asseln. Stimmen klangen aus den Mauern hervor, Wispern, hämisches Lachen. Hin und wieder drangen durch die geöffnete Tür einer Schenke oder eines Hurenhauses Licht und schrille Gesänge über die Schwelle, und man sah durch den Pfeifenrauch hindurch Musketiere an den Tischen sitzen, auf deren Schoß ein rosiges nacktes Mädchen hockte. Dann nahm sie wieder das finstere, labyrinthische Gewirr der dunklen Gassen gefangen.
Vardes drehte sich häufig um. Aus einer Gruppe, die bei einem Brunnen beisammenstand, hatte sich eine Gestalt gelöst und folgte ihnen mit leisen, geschmeidigen Schritten.
»Ist es noch weit?«
»Wir sind gleich da«, entgegnete Angélique, die die Wasserspeier und Giebel der Häuser in der Rue de l’Enfer wiedererkannte.
»Umso besser, denn ich fürchte, es wird mir nichts anderes übrig bleiben, als ein paar Wänste zu durchbohren. Hört mir gut zu, Kleines. Kommt nie wieder in den Louvre. Versteckt Euch und sorgt dafür, dass Ihr in Vergessenheit geratet.«
»Wenn ich mich verstecke, werde ich meinen Gemahl nie aus dem Gefängnis holen können.«
Er lachte hämisch.
»Wie Ihr wollt, o treue, tugendhafte Ehefrau.«
Angélique merkte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. Sie verspürte den wilden Drang, ihn zu beißen und zu würgen.
Da sprang eine zweite Gestalt aus dem Dunkel eines Gässchens hervor.
Der Marquis drängte die junge Frau gegen die Mauer und stellte sich mit gezogenem Schwert vor sie.
Im hellen Lichtkreis der großen, am Haus von Maître Fallot aufgehängten Laterne starrte Angélique mit vor Entsetzen geweiteten Augen auf die zerlumpten Männer. Der eine hatte einen Knüppel in der Hand, der andere ein Küchenmesser.
»Wir wollen Eure Börsen«, sagte der erste mit rauer Stimme.
»Ihr werdet ganz sicher etwas bekommen, Messieurs, aber nicht unsere Börsen, sondern ein paar anständige Schwerthiebe.«
Angélique klammerte sich an den bronzenen Türklopfer und hämmerte wie wild gegen das Holz. Endlich wurde die Tür einen Spalt geöffnet. Sie drängte sich ins Haus, doch vor ihrem geistigen Auge sah sie immer noch den Marquis de Vardes, dessen erhobenes Schwert die beiden Räuber in Schach hielt, die ihn knurrend und gierig wie Wölfe umstanden.
Hortense hatte ihr aufgemacht. In einem Nachthemd aus grobem Leinen und mit einem einfachen Talglicht in der Hand folgte sie ihrer Schwester böse zischend die Treppe hinauf.
Sie
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