Angélique - Am Hof des Königs
heimatliches Poitou zwischen der Bretagne und Maine, und Aunis mit La Rochelle und der Saintonge. Und das war bloß ein kleiner Vorgeschmack
auf die Angehörigen der großen französischen Familien, die sich hier bald im Angesicht der spanischen Granden drängen würden.
Nach dem Sonnenstand zu schließen, war der Nachmittag bereits weit vorangeschritten, doch der Tag war noch lange nicht zu Ende. Das Mittagessen hatten sie verpasst, aber man sprach davon, einen kleinen Imbiss bei M. de Lionne einzunehmen.
Angélique erwähnte, dass sie sich in ihre Unterkunft zurückziehen müsse, um sich etwas Eleganteres für den Abend anzuziehen. Außerdem wollte sie sich vergewissern, dass es ihrem Sohn gut ging. Mademoiselle ließ sie nur mit Bedauern ziehen und stellte ihr ihre Sänfte und ihre Träger zur Verfügung, damit sie schneller wieder zurückkommen könne.
»Kommt Ihr heute Abend zum Spiel bei der Königin?«, hatte sie sie zum Abschied gefragt. »Ihre Majestät legt großen Wert darauf, all ihre Damen dort zu sehen, auch diejenigen, die ihr heute Morgen vorgestellt wurden. Das gibt ihr die Gelegenheit, die Gemahlinnen all dieser Großen besser kennenzulernen, die sie häufig eher als Gegner denn als Freunde betrachtet hat. Zögert nicht, mit hohem Einsatz zu spielen. Sie will, dass ihre Gäste sich bei ihr wohlfühlen. Und anschließend begleitet Ihr uns ins spanische Theater... Ich flehe Euch an. Ich bin so gespannt auf Euer Urteil. Ich kann es kaum erwarten, zu hören, wie Ihr über diese ganzen Abscheulichkeiten denkt …«
Mademoiselles Sänfte brachte Angélique zurück zu ihrer Unterkunft, und die Träger hatten Anweisung, sie anschließend wieder zum Haus der Königinmutter zu bringen.
Angélique fand ihr Haus verlassen vor, niemand schien mehr da zu sein, um zu verhindern, dass Fremde hereinkamen.
Auf der Schwelle des gegenüberliegenden Hauses saß ein Küchenjunge aus einer herrschaftlichen Küche, die vorübergehend
das Erdgeschoss mit Beschlag belegt hatte, und putzte mit flinken Fingern Gemüse.
Er berichtete ihr, dass alle Mitglieder ihres Haushalts, auch die alte Dame, fortgegangen seien, um den kleinen Herrn auf seinem täglichen Spaziergang zu begleiten und sich die Stadt anzuschauen.
Angélique schloss, dass der »kleine Herr« Florimond sein müsse. Sie war beruhigt und verzichtete darauf, sich noch länger darüber Gedanken zu machen, dass alle Türen offen standen. So war das im Moment nun einmal. Sie würden sich später Sorgen um mögliche Einbrecher machen, doch im Augenblick hatte man anderes im Kopf, während die Stadt überschwemmt war von all den großen Namen des Königreichs, von berühmten Persönlichkeiten, die alle von einem Heer von Lakaien, Dienern und Leibgarden begleitet waren, die sich gegenseitig überwachen und ihre Herren notfalls mit der Pike oder dem Schwert verteidigen sollten.
Rasch wechselte sie ihr Mieder, legte für den Abend einen eleganteren Oberrock an, tauschte ihre Ohrringe und Halsketten aus, füllte ihre Börse mit ein paar Gold- und Silbermünzen für das Spiel und stieg erneut in die wartende Sänfte.
Sie hoffte, noch rechtzeitig zum Imbiss zu kommen, da sie allmählich fürchterlichen Hunger bekam. Außerdem litt sie in der glühenden Hitze, die vom Wind lediglich ein wenig umgewälzt wurde, unter schrecklichem Durst, obwohl sie bei ihrem Zwischenhalt hastig etwas getrunken hatte.
Aber gleich nach ihrer Ankunft auf dem Platz wurde sie von einer Gruppe Adliger umringt, zu der auch M. de la Meilleraye, M. de Méré, M. de Courcillon und mehrere andere gehörten, die mit ihr zusammen am Bidassoa gewesen waren. Sie zogen sie mit sich ins Haus von Anna von Österreich, die dort Hof hielt und sich in keinster Weise an dem Trubel und der Hektik um sich herum zu stören schien. Offensichtlich besaß die
Königin genügend Erfahrung und Intuition, die beiden Grundpfeiler gesellschaftlichen Umgangs. Sie beherrschte die Kunst, auf den ersten Blick zu erkennen, welche Absichten, Pläne oder Hoffnungen ihre Gäste hegten, und das half ihr dabei, jedem den passenden Platz und die passende Rolle zuzuweisen, ohne Zeit mit unnötigen Fragen, Erklärungen oder Einleitungen zu vergeuden.
Kaum war Angélique in ihren Hofknicks versunken, als die Königin, die manche noch die Regentin nannten, während die Ersten bereits begonnen hatten, sie als Königinmutter zu bezeichnen, sie auch schon mit einem Lächeln und einem anmutigen Wink ihres Fächers wieder in die
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