Angélique - Am Hof des Königs
Obhut der Herren zurückschickte, die sie im allgemeinen Taumel mitgerissen hatten.
Der Raum, in dem sich Angélique kurz darauf wiederfand, war klein und zum Bersten voll, aber es war das einzige Zimmer, das man als Spielsalon hatte auftreiben können. Und obwohl die meisten rings um die Tische stehen blieben, hinderte sie das nicht daran, sich als die Mitglieder ein und derselben Familie zu erkennen: der Spieler. Angélique gewann die dankbare Zuneigung all derer, die ihr ganzes Leben in der Furcht verbrachten, keine Partner für ihre abendliche Partie zu finden.
Die aufmerksamen Chronisten, die darauf bedacht waren, so viele verwunderliche Informationen wie möglich zu sammeln, hätten vermerken können, dass Mme. de Peyrac an jenem Abend an den Spieltischen der Königin den französischen Hof durch den subtilen Zauber ihrer Schönheit, ihres Lachens, ihrer Lebensfreude, ihrer ungezwungenen Fröhlichkeit und vieler anderer Details eroberte, die auf der Magie des Unerwarteten und des Neuen beruhten. Und auch durch eine leise Keckheit, die sie sich nicht nur in Anbetracht des Ranges ihres Gemahls erlauben konnte, sondern auch wegen der Bravour, mit der sie
am Morgen die unausgesprochene, beinahe heimtückische Herausforderung des französischen Adels angenommen hatte. Die zeremonielle Vorstellung vor dem König und dem Hof war eine jener Heldentaten, die sich auf einer Theaterbühne abspielten, auf der ohne Unterlass neue Intrigen gesponnen wurden, die zu neuen Siegen oder Niederlagen führten. Einer Bühne, auf der Ehren gleichbedeutend waren mit Reichtum, aber wo Reichtum nicht immer auch Macht bedeutete. Und darin lag die Ungewissheit einer Zukunft, die Erfolg, aber auch vollständiges Verschwinden bringen konnte.
Sie jedoch hatte sich dieser Herausforderung mit umso größerer Leichtigkeit gestellt, als sie das wahre Ausmaß ihrer Bedeutung gar nicht ahnte.
Sie erklärte sich nur unter der Bedingung zu einer weiteren Partie bereit, dass man ihr etwas zu trinken bringe. Sofort wurde sie von den verschiedensten Getränken bis hin zu Fruchtsorbets umworben, lehnte sie jedoch genauso ab wie Weine und Liköre und begnügte sich mit einem Glas perlendem Wasser, das aus einer Quelle in den Bergen stammte, wie man ihr sagte. Die Enttäuschung ihrer Mitspieler darüber, dass sie nur Wasser trinken wollte, entlockte ihr ein Lachen.
»Messieurs, das Spiel verlangt meine ganze Aufmerksamkeit. Ich bin es mir und Euch schuldig, einen klaren Kopf zu bewahren. Jetzt ist nicht der rechte Moment, um mich zu betrinken …«
Alle amüsierten sich, und die eingefleischten Spieler hatten vergessen, wie weit sie von den vertrauten Orten entfernt waren, wo sie sonst ihre Karten mischten oder die Würfel schüttelten wie auf einem beruhigenden Planeten, wo das Glück ihnen aus Gewohnheit hold war: der Louvre, das Palais-Royal, die Tuilerien, das Palais du Luxembourg und all die verschwiegenen Winkel von Paris, die sie nicht verraten konnten.
Mitten in der Partie bemühte sich ein Page verzweifelt, Angéliques
Aufmerksamkeit zu erregen. Er hatte eine Nachricht des Grafen de Peyrac für sie. Um ihr einen Gefallen zu tun, öffnete jemand den Brief für sie, und ein anderer hielt ihn ihr vor die Augen.
»Madame«, las sie, »zu meinem größten Bedauern werde ich heute Abend nicht bei Euch sein können. Ich sehe Euch morgen früh bei Tagesanbruch.«
Die Hand voller Karten, verstand sie die Botschaft zunächst nicht, auch wenn sich unwillkürlich eine bittere Enttäuschung in ihr ausbreitete. Dann erkannte sie seine Handschrift und die Unterschrift, und es gelang ihr, das Blatt an sich zu nehmen. Also würde sie ihn heute Abend nicht sehen. Und dieser Gedanke erschien ihr vollkommen unerträglich. Am liebsten hätte sie die von ihm geschriebenen Zeilen an ihre Lippen geführt, aber er hatte sie auch gelehrt, nie zu vergessen, wo und in welcher Gesellschaft sie sich befand. So schob sie das zusammengefaltete Papier in die Tasche ihres Blankscheits. Ihr gegenüber verzog M. de Marty-Boissot das Gesicht zu einer hässlichen Grimasse, während andere bei diesem Anblick laut auflachten. Manche applaudierten dezent mit den Fingerspitzen.
Sie verstand erst, was diese Pantomime zu bedeuten hatte, als sie sah, wie M. de Marty-Boissot ihr mit finsterer Miene eine ansehnliche Zahl von Ecus herüberschob. Sie hatte mit Leichtigkeit gewonnen. Was sie im Übrigen nicht überraschte, denn sie hatte immer Glück im Spiel und ein einzigartiges
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