Angélique - Am Hof des Königs
da flackerten, war es stockfinster. Weiter vorn erkannte sie undeutlich die noch leere Bühne, auf der das Stück aufgeführt werden sollte. Das Publikum, das auf den Beginn der Vorführung wartete, schwatzte munter auf Spanisch durcheinander.
Plötzlich bemerkte sie eine Bewegung auf der Bühne, und tanzende, gespenstergleiche Schemen stellten beinahe verstohlen an den Seiten kurze Fackeln auf, die das Bühnenpodest erhellten. Der Zuschauerraum jedoch blieb weiterhin dunkel.
Dann begann das Stück. Angélique konzentrierte sich und versuchte, dem Geschehen auf der Bühne zu folgen, denn das Thema der möglicherweise etwas archaischen spanischen Komödie war ihr nicht vertraut.
Auf dem Podium wirbelten die Mitglieder einer Schauspieltruppe umher, deren Sprünge und Kapriolen etwas Burleskes an sich hatten, da die meisten von ihnen lange Gewänder trugen. Angélique verstand Mademoiselles Bedenken, als sie bemerkte, dass sie Mönche und Priester darstellten. Sie konnte nicht beurteilen, ob es sich um eine Parodie der Hölle handelte oder um eine Szene aus dem Jüngsten Gericht. Sie sah Bischofsmitren und gehörnte Teufel. Über allem lag eine misstönende Musik und lärmende Rufe. Angélique hörte Anna von Österreich so fröhlich lachen wie eine Klosternovizin während der Rekreation.
Plötzlich geschah etwas Seltsames, und sie überkam das gleiche Gefühl wie bereits am Morgen während der Vorstellung beim König. Alle Lichter schienen zu verlöschen, und eine Welle der Dunkelheit breitete sich im Saal aus, bis sie schließlich die Bühne erreichte.
Angélique sah nur noch zwei einzelne grelle, flackernde Lichter.
Wie gebannt starrte sie sie an, bis sie erkannte, dass die beiden Lichter die Augen eines der Schauspieler waren, eines als Mönch verkleideten Mannes, dessen zappelnden, gestikulierenden Umriss sie im Halbdunkel ausmachen konnte. Es war also gar nicht so finster! Das Publikum lachte immer noch laut.
Angélique wollte aufstehen und gehen. Aber mit einem Mal wurde es stockfinster, und sie sah nur noch die leuchtenden Augen, diesen Blick, der durch die Dunkelheit schwebte und sie fixierte. Angélique spürte, wie ihr die Sinne schwanden.
Man hat mir etwas ins Getränk gegeben, dachte sie. Vorhin … beim Souper des Königs.
Erneut versuchte sie, aufzustehen und sich zum Ausgang zu bewegen. Ein kräftiger Männerarm stützte sie, und sie hörte ein Flüstern: »Ich helfe Euch, Madame de Peyrac.«
Angélique verschob es auf später, herauszufinden, wem der Arm gehörte. Der Mann führte sie zum Ausgang, und das war alles, was sie in diesem Augenblick wollte.
»Was für ein günstiger Zufall«, flüsterte die Stimme weiter. »Ich soll Euch eine Bitte von Monsieur, dem Bruder des Königs, übermitteln …«
Doch plötzlich rissen andere Arme Angélique von ihm fort, und sie wurde davongetragen, ausgestreckt, als schwebte sie über den Köpfen, die unter ihr wogten wie ein finsteres Meer, bereit, sie zu verschlingen. Ich bin verloren, dachte sie, unfähig, sich zu wehren.
Ein Schwall frischer Luft wehte ihr ins Gesicht und brachte sie wieder zu sich.
Sie war nicht länger ohnmächtig, von mehreren Armen getragen, ausgestreckt auf einem Ozean aus wogenden Köpfen.
Sie stand an der Schwelle des Saals, dessen Tür sich hinter ihr wieder geschlossen hatte. Vor sich sah sie einen kleinen Platz, der von einigen an Ladenschildern hängenden schwachen Laternen beleuchtet wurde. Für diese späte Stunde war er noch
recht belebt. Zahlreiche Passanten kamen und gingen, manche begannen sogar zu rennen.
Auch sie erschienen ihr durch den Schleier eines Nebels, den sie im ersten Moment auf ihr Unwohlsein zurückführte, wie gespenstische Schemen. Doch es war kein Nebel, der ihr die Sicht raubte, sondern ein plötzlicher Regenschauer. Es regnete nicht sehr stark, und sie spürte die Kühle wie ein leises Streicheln auf ihrem Gesicht, als sie sich einen Schritt hinauswagte. Aber jemand hielt sie am Arm zurück, und sie erkannte neben sich den Grafen de Guiche, einen der Söhne des Herzogs von Gramont.
»Ich danke Euch, dass Ihr mir nach draußen geholfen habt, Monsieur. Mir war plötzlich nicht ganz wohl.«
»Ich begleite Euch nach Hause«, entgegnete er. »Man weiß nie, ob der Regen nachlässt oder doppelt so stark wird. So ist das hier in dieser Gegend im Frühling... Lasst uns noch einen Moment abwarten.«
Auf den Zügen des Edelmannes lag ein heiterer, freundlicher und vollkommen natürlicher Ausdruck.
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