Angélique - Am Hof des Königs
wunderte sich, als sie merkte, dass sie schwankte, denn sie hatte tatsächlich nicht den Eindruck, beim Souper des Königs so viel getrunken zu haben.
Schweigend half ihr Marguerite die Treppe hinauf in den ersten Stock, wo ihr Zimmer lag.
Joffrey war nicht da. Aber das hatte er ihr ja auch geschrieben. Und sie war nicht in der Verfassung, sich irgendwelche Gedanken über seine Abwesenheit zu machen. Sie fühlte sich so zerschlagen, als sei sie den ganzen Tag zu Fuß eine Straße entlanggewandert oder über die Bergpfade der Montagne Noire oder der Corbières geritten. Schlimmer noch, denn es war eine andere, ungewohnte Art der Erschöpfung. Durchzogen von einer leisen Furcht, die sie nicht verscheuchen konnte und über die sie lieber auch nicht näher nachdenken wollte.
Nachdem Marguerite sie mit flinken Fingern aus ihren Kleidern befreit hatte, wusch sie ihren ganzen Körper mit feuchten, parfümierten Tüchern ab und half ihr anschließend, ein hauchdünnes Leinenhemd überzustreifen.
Angélique ließ sich auf ihr etwas zu schmales Bett fallen. Sie schlief wie ein Stein. Und nichts ist für einen jungen Menschen heilsamer als der Schlaf.
Als sie wieder erwachte, war alle Erschöpfung, die die Schrecken und Freuden des vergangenen Tages hervorgerufen hatten,
verflogen. Sie fühlte sich vollkommen gesund und voller Lebensfreude.
Hastig stand sie auf und eilte barfuß hinaus auf den Balkon.
Von oben aus bemerkte sie eine Bewegung in der Straße, und kurz darauf war er da. Durch das noch schlafende Haus kam er die Treppe herauf und umarmte sie mit der Freude eines jungen Liebhabers, dem es gelungen war, kurz zu entwischen, um seine Schöne wiederzusehen.
Sie selbst hatte das Gefühl, ihn schon seit Tagen nicht mehr gesehen zu haben. Joffrey, ihren Geliebten.
Lachend küssten sie sich.
Der Geschmack der Sonne, vermischt mit ein wenig morgendlicher Kühle, berauschte sie. Von plötzlichem Verlangen erfüllt, liebten sie sich beinahe flüchtig in einem versteckten Winkel des Stockwerks, wo sie nicht einmal genug Platz hatten, um sich hinzulegen, voller Angst, ihre Gastgeberin aufzuwecken.
Sie spürte seine schönen Hände auf ihrem Rücken, auf ihrem Gesäß. Sie vergrub ihre Finger in seinem dichten Haar und fand Gefallen an einer Vertrautheit, für die sie nicht immer den Mut aufbrachte. In solchen Momenten dachte sie stets verwundert und verzückt an ihre anfänglichen Ängste zurück. Er hatte sie immer noch vollkommen in seiner Hand! Wenn er fort war, sehnte sie sich nach ihm, und wenn er bei ihr war, konnte sie gar nicht genug bekommen von seiner Gegenwart, seiner Stärke, seinem Verlangen … Er ist allen anderen Männern überlegen, dachte sie wie im Rausch. Sie verlor sich in ihm, gab sich ganz ihrer Leidenschaft hin, und gemeinsam stahlen sie den Verpflichtungen, die auf sie warteten, diesen einen Moment der Lust und Ekstase. Sie mussten den allzu kurzen Bann nutzen, mit dem der Schlaf nach den Anstrengungen des vergangenen Tages die Stadt noch umfangen hielt.
Die Sonne stieg höher, begleitet von einem fremdartigen Rumoren,
dem fernen, über die Dächer heranklingenden Grollen des Atlantischen Ozeans, der jahrhundertelang das Meer der Finsternis genannt worden war, als noch niemand das Geheimnis seines endlosen Horizonts gelüftet hatte.
Während sie sich gegenseitig beim Ankleiden halfen – heute war keine prunkvolle Hofzeremonie vorgesehen -, wurde Angélique bewusst, dass von all dem, was sie am Vortag getan oder erlebt hatte, die Begegnung mit den drei Priestern den größten Eindruck auf sie gemacht hatte, von denen M. de Valence als Erster aufgebrochen war, um dem Kardinal zu beichten, dass er schlecht über ihn gesprochen hatte, damit dieser nicht von einem seiner Spione, unter anderem dem Abbé de Bonzi, davon erfuhr. Das Verhalten dieses Mannes, der ihr nicht von sonderlich ängstlichem Gemüt erschienen war, einem Bischof überdies und darüber hinaus in der Kraft der Jugend – er war nicht einmal dreißig Jahre alt -, entlockte ihr kein Lächeln, im Gegenteil. Es enthüllte ihr überdeutlich die Wahrheit über ein Klima der Furcht, das von allen äußerste Aufmerksamkeit und Vorsicht verlangte.
Besorgt wandte sie sich nach diesen Überlegungen an ihren Gemahl.
»Joffrey, als wir gestern Morgen mit Binet plauderten, habt Ihr den Kardinal einen ›Gauner von einem Minister‹ genannt. Selbst Binet war darüber besorgt und hat uns zur Vorsicht geraten.«
Joffrey schlang die
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