Angelique Der Gefangene von Notre Dame
Ich will Euch nicht verhehlen, dass ich diese Kirchenmänner bisweilen etwas enervierend und aufdringlich finde, aber man muss zugeben, dass sich ihre spezielle Rechtsprechung im Hinblick auf die Punkte, die in ihre Zuständigkeit fallen, meistens als redlich und klug erweist. Aber das Entscheidende ist, dass Euer Gemahl trotz dieser besonderen Anschuldigung der weltlichen Justiz überantwortet wurde. Und da mache ich mir keine Illusionen. Wenn es zu einem Urteil kommt, was noch gar nicht sicher ist, wird dieses einzig und allein von der Persönlichkeit der geschworenen Richter abhängen.«
»Wollt Ihr damit sagen, Hoheit, dass die Richter der weltlichen Justiz voreingenommen sein könnten?«
»Das hängt ganz davon ab, wen man für diese Aufgabe auswählt.«
»Und wer wählt die Richter aus?«
»Der König.«
Als die Prinzessin die ängstliche Miene der jungen Frau sah, stand sie auf, legte eine Hand auf ihre Schulter und bemühte sich, sie wieder ein wenig aufzuheitern. Alles würde gut enden, da sei sie sich sicher. Aber man müsse versuchen, Licht in die ganze Sache zu bringen... Ein Mann vom Rang und Stand eines Monsieur de Peyrac werde nicht grundlos unter strengster Geheimhaltung eingesperrt. Sie habe sich nachdrücklich beim Erzbischof von Paris, dem Kardinal de Gondi, nach ihm erkundigt. Dieser war ebenfalls ein ehemaliger Streiter der Fronde und nicht gerade gut zu sprechen auf Monseigneur de Fontenac aus Toulouse.
Vom Kardinal, dem man beim besten Willen keine allzu groÃe
Nachsicht gegenüber dem Verhalten seines mächtigen Rivalen aus dem Languedoc nachsagen konnte, hatte sie erfahren, dass der Erzbischof von Toulouse zwar tatsächlich als Erster den Vorwurf der Hexerei erhoben zu haben schien, dann aber von unbekannter Seite gezwungen worden sei, sich zugunsten der königlichen Justiz zurückzuziehen.
»In Wahrheit hatte der Erzbischof von Toulouse nie die Absicht, es so weit kommen zu lassen. Da er â zumindest bei Eurem Gemahl â selbst nicht an Hexerei glaubt, hätte er sich damit begnügt, ihm entweder vor einem kirchlichen Tribunal oder vor dem Parlament von Toulouse eine Rüge zu erteilen. Aber dann hat man ihm seinen Angeklagten durch einen von langer Hand vorbereiteten Verhaftungsbefehl entrissen.«
Mademoiselle erklärte weiter, sie sei, indem sie ihre Nachforschungen auf ihre hochrangigen Bekannten ausgeweitet habe, mehr und mehr zu der Ãberzeugung gelangt, dass Joffrey de Peyrac gewaltsam einem kurz bevorstehenden Prozess vor dem Parlament von Toulouse entzogen worden sei.
»Das habe ich von Monsieur Masseneau persönlich erfahren, einem angesehenen Mitglied des Toulouser Parlaments, der aus mysteriösen Gründen nach Paris beordert wurde und der sich im Ãbrigen fragt, ob nicht sogar der Prozess Eures Gemahls der Anlass dafür sein könnte.«
»Masseneau?«, wiederholte Angélique nachdenklich.
Blitzartig sah sie den kleinen rotgesichtigen, über und über mit Bändern geschmückten Mann vor sich, der, auÃer sich vor Wut, den unverschämten Grafen de Peyrac auf der staubigen StraÃe nach Salsigne mit seinem Gehstock bedrohte.
»Ich werde an den Gouverneur des Languedoc schreiben... an den königlichen Rat...«, hatte er geschrien.
»O mein Gott«, murmelte sie. »Das ist ein Feind meines Gemahls.«
»Ich habe selbst mit diesem Masseneau gesprochen«, entgegnete
die Herzogin von Montpensier. »Obwohl er von bürgerlicher Herkunft ist, hat er auf mich einen recht offenen und ehrbaren Eindruck gemacht. Tatsächlich fürchtet er, man könne ihn zum Mitglied des Gerichts bestimmen, welches über den Grafen de Peyrac zu befinden haben wird. Und zwar genau deshalb, weil allgemein bekannt ist, dass er in der Vergangenheit eine Auseinandersetzung mit ihm hatte. Er sagt, die Verwünschungen, die man sich unter sengender Sonne an den Kopf werfe, hätten keinen Einfluss auf den Lauf der Gerechtigkeit, und es wäre ihm äuÃerst unangenehm, wenn man ihn zwingen würde, sich für einen solchen Scheinprozess herzugeben.«
Angélique hatte nur ein einziges Wort davon gehört: Prozess!
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»Dann soll ihm also der Prozess gemacht werden? Ein Advokat, den ich zu Rate gezogen habe, hat mir gesagt, dass damit schon viel gewonnen wäre, insbesondere wenn man erreichen könnte, dass das Tribunal innerhalb des Pariser
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