Angelique Der Gefangene von Notre Dame
Also gut, jetzt die entscheidende Frage: Wollt Ihr den König sprechen?«
Und als Angélique sich ihr unter dem Eindruck dieses Wechselbads
der Gefühle zu FüÃen warf, brachen sie beide in Tränen aus.
AnschlieÃend erklärte Mademoiselle de Montpensier, dass das beängstigende Treffen bereits anberaumt sei und der König Madame de Peyrac in zwei Stunden empfangen werde.
Statt über diese Nachricht bestürzt zu sein, fühlte Angélique, wie sich eine seltsame Ruhe in ihr ausbreitete. Dieser Tag würde die Entscheidung bringen.
Da ihr keine Zeit mehr blieb, um nach Saint-Landry zurückzukehren, bat sie Mademoiselle, ihre Puder und Cremes benutzen zu dürfen, um sich für die Audienz beim König herzurichten. Mademoiselle lieh ihr bereitwillig eine ihrer Zofen.
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Vor dem Spiegel der Frisierkommode fragte sich Angélique, ob sie überhaupt noch schön genug war, um den König für sich einzunehmen. Ihre Taille war bereits fülliger geworden, aber im Gegenzug wirkte ihr einst kindlich-rundes Gesicht jetzt magerer. Sie war blass, und unter ihren Augen lagen dunkle Schatten. Nach einer strengen Prüfung kam sie zu dem Schluss, dass ihr dieses schmale Gesicht und die durch einen violetten Schatten vergröÃerten Augen gar nicht so schlecht standen. Sie verliehen ihr ein zu Herzen gehendes, anrührendes ÃuÃeres, das nicht ohne Reiz war.
Sie schminkte sich dezent, klebte ein schwarzes samtenes Schönheitspflästerchen neben ihre Schläfe und lieà sich von der Kammerzofe die Haare richten.
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Als sie sich kurz darauf im Spiegel betrachtete, funkelten ihre grünen Augen wie die einer Katze in der Dunkelheit.
»Das bin nicht mehr ich«, sagte sie leise. »Trotzdem ist sie eine sehr schöne Frau. Oh, dieser Anblick kann den König unmöglich gleichgültig lassen. Aber, herrje, ich bin ihm nicht demütig genug. Lieber Gott, lass mich demütig sein!«
Kapitel 3
M it klopfendem Herzen erhob sich Angélique aus einem tiefen Knicks. Der König stand vor ihr. Sie hatte ihn nicht näher kommen hören, da der dicke Wollteppich das Geräusch seiner hohen Absätze aus lackiertem Holz gedämpft hatte.
Angélique bemerkte, dass sich die Tür des kleinen Kabinetts wieder geschlossen hatte und sie mit dem Herrscher allein war. Bei dieser Erkenntnis überkam sie eine gewisse Hemmung, ja fast schon Panik. Bisher hatte sie den König immer nur von zahllosen Menschen umringt gesehen. Dadurch war er ihr nie wirklich echt und lebendig erschienen, eher wie ein Schauspieler auf einer Theaterbühne.
Nun spürte sie die Gegenwart dieses etwas massigen und trotzdem schlanken Mannes und roch den zarten Duft des Irispuders, mit dem er, der Mode entsprechend, sein üppiges braunes Haar bleichte. Und dieser Mann war der König.
Sie zwang sich, den Blick zu heben.
Ludwig XIV. sah sie ernst und ungerührt an. Man hätte meinen können, er versuchte sich an den Namen der Besucherin zu erinnern, obwohl die Grande Mademoiselle sie erst kurz zuvor angekündigt hatte. Angélique war wie gelähmt durch die Kälte in seinem Blick.
Sie wusste nicht, dass Ludwig XIV. zwar nicht die Schlichtheit seines Vaters, Ludwigs XIII., geerbt hatte, wohl aber dessen Schüchternheit. Fasziniert von Prunk und Ehren, bemühte er sich nach Kräften, dieses Minderwertigkeitsgefühl zu unterdrücken,
das seinem erhabenen Rang so sehr widersprach. Doch auch wenn er inzwischen verheiratet und bereits ausgesprochen galant war, schaffte er es immer noch nicht, eine Frau, vor allem eine schöne Frau, unbefangen anzusprechen.
Und Angélique war schön. Sie hatte, was sie selbst nicht wusste, eine vornehme Kopfhaltung, und in ihrem Blick lag ein gleichzeitig zurückhaltender und kühner Ausdruck, der manchmal wie Unverschämtheit, wie eine Herausforderung anmuten konnte und dann wieder wie die Unschuld frischer, aufrichtiger Geschöpfe. Ihr Lächeln veränderte sie, denn es enthüllte das Wohlwollen, das sie den Menschen und dem Leben entgegenbrachte.
Doch in diesem Augenblick lächelte Angélique nicht. Sie musste warten, bis der König als Erster das Wort ergriff, und angesichts seines langen Schweigens schnürte sich ihre Kehle zusammen.
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Endlich entschloss sich der König zu einer kleinen Lüge.
»Madame, ich habe Euch nicht wiedererkannt. Besitzt Ihr nicht mehr dieses
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