Angelique Der Gefangene von Notre Dame
wundervolle goldene Kleid, das Ihr in Saint-Jean-de-Luz getragen habt?«
»So ist es, Sire, und ich schäme mich wirklich, in einem so schlichten, abgetragenen Aufzug vor Euch zu erscheinen. Aber dieses Kleid ist das einzige, das mir noch geblieben ist. Eurer Majestät ist ja bekannt, dass mein gesamter Besitz versiegelt wurde.«
Die Züge des Königs gefroren. Doch dann rang er sich ein Lächeln ab.
»Ihr kommt sehr schnell zur Sache. Aber im Grunde habt Ihr recht damit. Ihr erinnert mich daran, dass die Zeit eines Königs kostbar ist und er sie nicht mit belanglosen Plaudereien vergeuden darf. Ihr seid ein wenig streng, Madame.«
Ein Hauch von Rot überzog ihre blassen Wangen, und sie lächelte verwirrt.
»Es liegt mir fern, Euch die zahlreichen Pflichten in Erinnerung zu rufen, die auf Euch lasten, Sire. Ich habe lediglich in aller Bescheidenheit Eure Frage beantwortet. Ich möchte nicht, dass Eure Majestät mich für so nachlässig hält, in einem alten Kleid und mit viel zu schlichtem Schmuck vor ihn zu treten.«
»Ich habe nicht den Befehl erlassen, Euren Besitz zu versiegeln. Ich habe sogar angewiesen, Madame de Peyrac auf freiem Fuà zu belassen und sie in keiner Weise zu behelligen.«
»Ich bin Eurer Majestät unendlich dankbar für diese Aufmerksamkeit«, sagte Angélique und verneigte sich. »Aber ich habe nichts mehr, was mir gehört, denn in meiner Hast, in Erfahrung zu bringen, was meinem Gemahl zugestoÃen ist, bin ich ohne weiteres Vermögen, nur mit ein paar Kleidern und einigen Schmuckstücken nach Paris gereist. Ich bin jedoch nicht gekommen, um über meine Not zu klagen, Sire. Meine einzige Sorge gilt dem Schicksal meines Gemahls.«
Sie verstummte und verkniff sich die zahllosen Fragen, mit denen sie ihn am liebsten bestürmt hätte: »Warum habt Ihr ihn verhaften lassen? Was werft Ihr ihm vor? Wann gebt Ihr ihn mir wieder zurück?«
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Ludwig XIV. musterte sie mit unverhohlener Neugier.
»Sollte ich aus Euren Worten etwa schlieÃen, dass Ihr, Madame, eine so schöne Frau, tatsächlich in diesen Krüppel verliebt seid?«
Der verächtliche Ton des Herrschers traf Angélique wie ein DolchstoÃ. Ein entsetzlicher Schmerz breitete sich in ihr aus, und ihre Augen funkelten vor Empörung.
»Wie könnt Ihr so etwas sagen?«, rief sie hitzig. »Ihr habt ihn doch gehört, Sire. Ihr habt die Goldene Stimme des Königreichs gehört!«
»Tatsächlich besaà seine Stimme einen Reiz, dem man sich nur schwer entziehen konnte.«
Er trat näher an sie heran und fuhr in einschmeichelndem Ton fort: »Dann stimmt es also, dass Euer Gemahl die Macht hatte, selbst die kühlsten Frauen zu betören. Man hat mir zugetragen, er sei so stolz auf diese Kunst gewesen, dass er daraus sogar eine Art Lehre entwickelte, in der er seine Gäste während sogenannter âºMinnehöfeâ¹ unterwies, bei denen schamloseste Zügellosigkeit herrschte.«
Weniger schamlos als das, was bei Euch im Louvre vor sich geht, war Angélique versucht zu erwidern.
Doch sie riss sich zusammen.
»Man hat Eurer Majestät den Sinn dieser gesellschaftlichen Zusammenkünfte falsch dargelegt. Mein Gemahl liebte es, in seinem Palast der Fröhlichen Wissenschaft die mittelalterlichen Traditionen der alten Troubadours des Südens wieder aufleben zu lassen, die die galante Verehrung der Damen zu einer wahren Institution erhoben haben. Natürlich waren die Unterhaltungen recht ungezwungen, denn man plauderte ja über die Liebe, aber die Schicklichkeit blieb immer gewahrt.«
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»Wart Ihr denn nicht eifersüchtig, zu sehen, wie Euer geliebter Gemahl sich hemmungslosen Ausschweifungen hingab, Madame?«
»Ich habe niemals erlebt, dass er sich Ausschweifungen solcher Art hingegeben hätte, wie Ihr sie andeutet, Sire. Diese Traditionen lehren die Treue zu einer Frau, sei es die legitime Gemahlin oder die Mätresse. Und ich war die Frau, die er dazu erwählt hatte.«
»Dennoch hat es lange gedauert, ehe Ihr Euch dieser Wahl beugtet. Warum hat sich Euer anfänglicher Widerwille plötzlich in verzehrende Liebe gewandelt?«
»Ich sehe, dass Eure Majestät sich für die intimsten Details im Leben seiner Untertanen interessiert«, entgegnete Angélique, der es nicht mehr gelang, den ironischen Beiklang in ihrer Stimme zu unterdrücken.
In ihr
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