Angelique Der Gefangene von Notre Dame
verbrannt.«
»Meine Schwester, vergröÃert Euer Leid nicht noch dadurch, dass Ihr Euch gegen den Himmel auflehnt. Vergesst nicht, dass unser Heiland im Namen Gottes gekreuzigt wurde.«
»Euer Geschwätz macht mich noch wahnsinnig!«, schrie Angélique mit schriller Stimme, die aus weiter Ferne zu kommen schien. »Ich werde nicht eher ruhen, bis ich selbst einen der Euren niedergestreckt habe, bis ich ihn unter den gleichen Qualen habe sterben sehen...«
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Sie lehnte sich gegen die Mauer und schlug die Hände vors Gesicht. Ein trockenes Schluchzen schüttelte ihren Körper.
»Wenn Ihr ihn seht... sagt ihm, dass ich ihn liebe, dass ich ihn liebe... Sagt ihm... dass er mich glücklich gemacht hat. Und dann... fragt ihn, welchen Namen ich dem Kind geben soll, das bald zur Welt kommen wird.«
»Das werde ich tun, meine Schwester.«
Er wollte ihre Hand nehmen, aber sie entzog sie ihm und ging ihres Weges.
Der Priester verzichtete darauf, ihr zu folgen. Gebeugt von der Last des menschlichen Leids, ging er durch die schmalen StraÃen davon, in denen immer noch der Schatten von Monsieur Vincent umging.
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Angélique eilte zurück zum Temple. Ihre Ohren schienen zu dröhnen, denn plötzlich glaubte sie, ringsum Rufe zu hören: »Peyrac! Peyrac!«
SchlieÃlich blieb sie stehen. Diesmal träumte sie nicht.
»... Und der dritte hieà Peyrac. Drei Herren also nach Satans Geschmack. «
Auf einem der Prellsteine, von denen aus die Reiter wieder in den Stattel stiegen, stand ein magerer Bengel und grölte mit heiserer Stimme die letzten Strophen eines gedruckten Liedes, von dem er ein ganzes Bündel unter dem Arm trug.
Die junge Frau machte kehrt und verlangte ein Blatt. Das grobe Papier roch nach frischer Druckerschwärze. Angélique konnte das Lied in der dunklen Gasse nicht lesen. Sie faltete das Blatt zusammen und ging weiter. Je näher sie dem Temple kam, desto mehr verdrängte der Gedanke an Florimond alles andere. Seit Madame Scarron ausgezogen war, machte sie sich stets Sorgen, wenn sie ihn allein lassen musste, vor allem, da er jetzt immer lebhafter wurde. Sie musste ihn fast schon in seiner Wiege verschnüren, und das gefiel dem Kleinen ganz und gar nicht. Meistens weinte er die ganze Zeit, während seine Mutter fort war, und diese fand ihn bei ihrer Rückkehr hustend und fiebernd vor.
Schon auf der Treppe hörte Angélique das Schluchzen des Kindes und beeilte sich.
»Da bin ich ja wieder, mein Schatz, mein kleiner Prinz. Warum bist du denn kein groÃer Junge?«
Rasch warf sie ein Reisigbündel ins Feuer und stellte den Topf mit Brei auf die Feuerböcke. Florimond brüllte noch immer und streckte die Ãrmchen nach ihr aus. Endlich befreite sie ihn aus seinem Gefängnis, woraufhin er wie durch ein Wunder verstummte und ihr sogar ein entzückendes Lächeln gewährte.
»Du bist ein kleiner Räuber«, sagte Angélique, während sie sein tränennasses Gesicht trocknete.
Mit einem Mal schmolz ihr Herz dahin. Sie nahm Florimond auf den Arm und betrachtete ihn im Licht der Flammen, die ein rotes Funkeln in seine schwarzen Augen zauberten.
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»Mein kleiner König! Du süÃer kleiner Gott! Du wenigstens bleibst mir. Wie schön du doch bist!«
Florimond schien zu verstehen, was sie sagte. Er straffte seinen kleinen Körper und lächelte in einer Art unschuldigem, selbstsicherem Stolz. Durch seine Haltung gab er deutlich zu verstehen, dass er genau wusste, dass er der Mittelpunkt der Welt war. Sie streichelte ihn und spielte mit ihm. Er schwatzte wie ein junges Vögelchen. Madame Cordeau sagte oft, dass der Kleine seinem Alter weit voraus sei, was das Sprechen anging. Der Satzbau war nicht perfekt, aber er konnte sich bereits sehr gut verständlich machen. Nachdem seine Mutter ihn gebadet und wieder hingelegt hatte, verlangte er, dass sie ihm ein Wiegenlied sang, und zwar das von der Grünen Mühle .
Angéliques Stimme drohte jeden Augenblick zu brechen. Im Gesang drückt der Mensch seine Freude aus. Man kann zwar reden, wenn einem das Herz schwer ist, aber zu singen verlangt geradezu übermenschliche Kräfte.
»Mehr! Mehr!«, verlangte Florimond.
Dann begann er mit einem seligen Lächeln an seinem Daumen zu lutschen. Sie war ihm nicht böse wegen seines tyrannischen, ahnungslosen Verhaltens. Sie fürchtete den Moment, wenn sie allein sein
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