Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Angelique Der Gefangene von Notre Dame

Titel: Angelique Der Gefangene von Notre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Golon Anne
Vom Netzwerk:
Schuld auf sich geladen haben, verdienen Mitgefühl, wenn die Stunde des Todes naht. Aber dieser Mann ist nicht schuldig. Er hat das schreckliche Verbrechen, für das er verurteilt wurde, nicht begangen.«
    Â»Das sagen sie alle!«, entgegnete die Henkersfrau gleichmütig.
    Â»Wenn Monsieur Vincent nicht gestorben wäre, würde es morgen keinen Scheiterhaufen geben. Ich habe selbst gehört, wie er einige Stunden vor seinem Tod voller Sorge über die Ungerechtigkeit sprach, der ein Adliger dieses Landes zum Opfer fallen solle. Wenn er noch lebte, wäre er eher neben dem Verurteilten auf den Scheiterhaufen gestiegen und hätte dem Volk zugerufen, dass man ihn anstelle eines Unschuldigen verbrennen solle.«
    Â»Ach, genau das ist es, was meinen armen Mann so quält«, rief die Frau. »Ihr ahnt ja nicht, Abbé, welche Sorgen er sich wegen dieser Hinrichtung morgen macht. Er hat sechs Messen in Saint-Eustache lesen lassen, eine in jeder Seitenkapelle. Und wenn alles gut geht, will er auch noch eine am Hauptaltar lesen lassen.«
    Â»Wenn Monsieur Vincent noch da wäre...«
    Â»... dann gäbe es keine Diebe und Hexenmeister mehr, und wir wären ohne Arbeit.«
    Â»Dann würdet Ihr eben in der Fischhalle Heringe verkaufen oder Blumensträuße auf dem Pont-Neuf, und dabei wärt Ihr auch nicht unglücklicher als jetzt.«
    Â»Da habt Ihr wohl recht...«, entgegnete die Frau lachend.
    Â 
    Angélique musterte den Priester genauer. Auf seine Worte hin wäre sie am liebsten aufgestanden und hätte ihren Namen genannt
und ihn um seinen Beistand gebeten. Er war noch jung, aber in ihm leuchtete die Flamme von Monsieur Vincent. Er hatte grobe Hände und die ärmliche, schlichte Art der einfachen Leute. Genauso wäre er auch vor den König getreten. Doch Angélique rührte sich nicht. Seit zwei Tagen brannten ihre Augen von den Tränen, die sie in dem einsamen Zimmer vergoss, wo sie sich mit ihrem Kummer vergrub. Aber jetzt hatte sie keine Tränen und kein Herz mehr. Kein Balsam vermochte die offene Wunde zu heilen. Aus ihrer Verzweiflung war eine böse Blume erwachsen: der Hass.
    Für das, was sie ihm angetan haben, werde ich sie hundertfach bezahlen lassen.
    Diese Entschlossenheit hatte ihr die Kraft geschenkt, weiterzuleben und zu handeln. Kann man einem Bécher verzeihen...? So blieb sie starr und reglos sitzen, und unter dem Mantel umklammerten ihre Hände die Börse, die Desgrez ihr gegeben hatte.
    Â»Ob Ihr es glaubt oder nicht, Abbé«, sagte die Henkersfrau, »aber meine größte Sünde ist der Stolz.«
    Â»Das verblüfft mich in der Tat!«, rief der Priester und schlug mit den Händen auf seine Knie. »Ich will mich ja nicht gegen die Nächstenliebe versündigen, meine Tochter, aber wegen des Berufs Eures Mannes seid Ihr bei allen verhasst. Eure Nachbarinnen wenden sich schimpfend ab, wenn Ihr vorbeikommt. Worin findet Ihr noch einen Grund für Hochmut und Stolz...?«
    Â»Ach«, seufzte die arme Frau, »das ist schon richtig. Aber wenn ich meinen Mann so sehe, wie er breitbeinig dasteht, sein großes Beil hebt und – zack! – mit einem Hieb einen Kopf abschlägt, dann bin ich einfach stolz auf ihn. Es ist nicht leicht, das mit einem einzigen Hieb zu schaffen, wisst Ihr.«
    Â»Meine Tochter, Ihr macht mich schaudern«, entgegnete der Priester.
    Versonnen fügte er hinzu: »Das Herz der Menschen ist unergründlich.«

    In dem Moment wurde die Tür geöffnet, und der Lärm des Platzes drang von draußen herein. Ein hünenhafter Mann mit breiten Schultern kam mit schwerem, ruhigem Schritt herein. Er brummte einen unverständlichen Gruß und schaute sich mit dem gebieterischen Blick desjenigen um, der immer und überall im Recht ist. Sein volles, pockennarbiges Gesicht hatte derbe, ungerührte Züge. Es wirkte nicht böse, nur kalt und hart wie eine steinerne Maske. Es war das Gesicht eines Mannes, der in bestimmten Situationen weder lachen noch weinen durfte, das Gesicht eines Leichenträgers... oder eines Königs, dachte Angélique, die trotz des groben Handwerkerkittels plötzlich eine Ähnlichkeit mit Ludwig XIV. entdeckte.
    Es war der Henker!
    Â 
    Angélique stand auf. Der Priester tat es ihr gleich und hielt dem Scharfrichter wortlos das Schreiben des Polizeileutnants hin.
    Maître Aubin ging zu einer Kerze hinüber, um es zu

Weitere Kostenlose Bücher