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Angelique Der Gefangene von Notre Dame

Titel: Angelique Der Gefangene von Notre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Golon Anne
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überzusetzen. Dann kommt Ihr von hinten nach Notre-Dame und seid in fünf Minuten da.«
    Sie dankte ihm und rannte erneut los. Der Metzger hatte sie gut beraten. Für ein paar Sols nahm ein Schiffer sie in sein Boot und brachte sie mit drei Ruderschlägen hinüber zum Hafen von Saint-Landry. Als Angélique die hohen Holzhäuser sah, an deren Stützpfeilern sich die verfaulten Obstreste sammelten, erinnerte sie sich flüchtig an den klaren Morgen, als Barbe zu ihr gesagt hatte: »Da hinten, vor dem Rathaus, das ist die Place de Grève. Ich habe gesehen, wie ein Hexenmeister verbrannt wurde...«
    Angélique rannte. Die Straße führte an den Chorherrenhäusern hinter der Apsis von Notre-Dame vorbei. Sie war beinahe menschenleer. Doch von weitem hörte sie das dumpfe Rumoren der Menge, in das sich die tiefen, dumpfen Schläge der Armsünderglocke mischten. Angélique rannte. Sie wusste nicht, woher sie die schier übermenschliche Kraft nahm, sich durch die dichten Reihen der Gaffer zu zwängen, und durch welches Wunder sie in die erste Zuschauerreihe direkt vor dem Vorplatz der Kathedrale gelangte.
    Kaum war sie dort angekommen, als lang anhaltendes Geschrei auch schon die Ankunft des Verurteilten verkündete. Die Menge stand so dicht gedrängt, dass der Zug kaum vorwärtskam. Die Henkersknechte versuchten die Menschen mit weit ausholenden Peitschenhieben auseinanderzutreiben.
    Â 
    Endlich kam ein kleiner hölzerner Kippkarren in Sicht. Es war eines jener grob gezimmerten, zweirädrigen Fuhrwerke, mit denen die Abfälle der Stadt eingesammelt wurden. An seinen Seiten klebten immer noch Reste von Schlamm und Stroh.
    Auf diesem schändlichen Wagen stand Maître Aubin, die Fäuste in die Seiten gestemmt, in scharlachrotem Wams und Kniehose. Auf seiner Brust prangte das Wappen der Stadt. Schwer ließ
er seinen Blick über den johlenden Pöbel gleiten. Der Priester saß auf dem Rand des Karrens. Laute Rufe verlangten nach dem Hexenmeister, der nirgends zu sehen war.
    Â»Er liegt sicher auf dem Boden«, sagte eine Frau neben Angélique. »Er soll ja schon halb tot sein.«
    Â»Oh, hoffentlich nicht«, entfuhr es darauf ihrer Nachbarin, einem hübschen Mädchen mit frischen, rosigen Wangen.
    Â 
    Unterdessen hatte der Karren vor der riesigen Statue des Großen Fasters angehalten. Berittene Stadtbüttel hielten ihre Hellebarden quer in den Händen und drängten damit die Menge zurück. Umringt von zahlreichen Mönchen aus den verschiedenen Orden, traten einige Häscher auf den Vorplatz.
    Die Menge geriet in Bewegung, und Angélique wurde nach hinten geworfen. Sie schrie wie eine Furie und machte von ihren Fingernägeln Gebrauch, um sich auf ihren früheren Platz zurückzukämpfen.
    Â 
    Immer noch hallten die Schläge der Armsünderglocke über die Köpfe der Menschen, die mit einem Mal verstummten. Eine gespenstische Erscheinung richtete sich auf und erklomm die Stufen zum Vorplatz. Alles verschwamm vor Angéliques Augen. Sie sah nur noch diese strahlend weiße Gestalt. Dann erkannte sie plötzlich, dass der Verurteilte einen Arm um die Schultern des Scharfrichters und den anderen um die des Priesters gelegt hatte und er in Wahrheit geschleift wurde. Der Kopf mit dem langen Haar fiel ihm nach vorn auf die Brust.
    Vor ihm schritt ein Mönch, der sich hin und wieder umdrehte und rückwärtsging. Er trug eine gewaltige Wachskerze in den Händen, deren Flamme sich im Wind bog. Angélique erkannte Conan Bécher, dessen Gesicht vor Ekstase und hämischer Freude verzerrt war. Um den Hals trug er ein schweres weißes Kruzifix, das bis zu seinen Knien herabhing, sodass er zuweilen darüber
stolperte. Und so hatte es den Anschein, als führte er vor dem Verurteilten einen grotesken Totentanz auf.
    Die Prozession bewegte sich mit albtraumhafter Langsamkeit. Endlich oben auf dem Vorplatz angekommen, blieb die Gruppe vor dem Portal des Jüngsten Gerichts stehen.
    Ein Strick hing um den Hals des Verurteilten. Unter seinem weißen Hemd schaute ein nackter Fuß hervor, der auf dem eisigen Steinboden stand.
    Das ist nicht Joffrey, sagte sich Angélique.
    Das war nicht der Mann, den sie gekannt hatte, dieser kultivierte Mensch, der alle Freuden des Lebens genossen hatte. Es war ein Unglücklicher wie all die anderen Unglücklichen, die vor ihm an diesen Ort gekommen waren,

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