Angelique Der Gefangene von Notre Dame
plötzlich herrschte in der Gasse eine drückende Stille.
»Was soll das denn?«, hörte man Barcaroles Stimme.
Der Körper des Mönchs war zur Seite gesunken und lag nun reglos vor der Mauer.
Die Räuber traten näher. Ihr Hauptmann beugte sich vor, doch als er den Kopf des Mönchs anhob, fiel der Kiefer herunter, und sein Mund öffnete sich wie zu einem letzten Angstschrei. Seine Augen blickten starr und bereits ein wenig glasig.
»Das gibtâs ja nicht, er ist tot!«, stellte Calembredaine fest.
»Wir haben ihn doch gar nicht angefasst«, sagte der Zwerg. »Stimmt doch, Crête-de-Coq, wir haben ihn nicht angefasst! Wir haben nur Grimassen geschnitten, damit er Angst kriegt!«
»Das habt ihr geschafft. Er ist sogar daran krepiert... Er ist vor lauter Schiss krepiert!«
Ãber ihnen wurde ein Fenster geöffnet. »Was ist da drauÃen los? Wer spricht von Dämonen?«, fragte eine zitternde Stimme.
»Wir machen uns aus dem Staub«, befahl Calembredaine. »Hier ist alles erledigt.«
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Als man Bécher am nächsten Morgen leblos und ohne jede Spur von Schlägen oder einer Verletzung fand, erinnerten sich die Menschen in Paris wieder an die Worte des Hexenmeisters, der auf der Place de Grève verbrannt worden war: »Conan Bécher, in zehn Tagen wirst du neben mir vor dem Richterstuhl Gottes stehen â¦Â«
Man sah auf den Kalender und erkannte, dass das Datum passte. Und die Bewohner der in der Nähe des Zeughauses gelegenen Rue de la Cerisaie berichteten, sich bekreuzigend, von den seltsamen Schreien, die sie am vergangenen Abend aus dem ersten Schlaf gerissen hatten.
Dem Totengräber, der den verfluchten Mönch begrub, musste man den doppelten Lohn bezahlen.
Und auf sein Grab wurde folgende Inschrift gesetzt: » Hier ruht Pater Conan Bécher, Franziskaner-Rekollekt, der in den letzten Tagen des Februar 1661 durch die Schmähungen der bösen Geister verstarb .«
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Die Bande von Nicolas Calembredaine, dem illustren Haderlump, beendete die Nacht in den Schenken.
Sie besuchten sämtliche Spelunken zwischen dem Zeughaus und dem Pont-Neuf. Und in ihrer Mitte sah man eine bleiche Frau mit offenem Haar, der sie immer wieder zu trinken gaben.
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Angélique war sturzbetrunken und erbrach sich schlieÃlich hemmungslos. Als sie anschlieÃend, den Kopf an eine Wand gelehnt, dastand, erwachte in ihr ein Gedanke, der sich immer weiter, verzweifelt, in die Länge dehnte: »Das ist das Ende... das Ende!«
Nicolas richtete sie mit herrischer Geste wieder auf und musterte sie überrascht und besorgt.
»Bist du krank? Wir haben doch noch gar nichts getrunken ⦠Wir müssen unsere Hochzeit feiern...«
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Als er sah, dass sie völlig erschöpft war und die Augen geschlossen hielt, hob er sie hoch und trug sie hinaus.
Die Nacht war kalt, aber an Nicolasâ Brust fühlte sie sich warm und geborgen.
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Der Schmutzpoet vom Pont-Neuf, der zwischen den Hufen des bronzenen Pferdes lag, sah, wie der groÃe Räuberhauptmann vorbeikam. In seinen Armen hielt er eine weiÃe Gestalt mit hängendem Haar, die so leicht wirkte, als wäre sie eine Puppe.
Als Calembredaine den groÃen Saal im Erdgeschoss der Tour de Nesle betrat, war dort ein Teil seiner Bande am Feuer versammelt. Ein Mädchen sprang laut schreiend auf und stürzte sich auf ihn.
»Du Dreckskerl! Du hast dir eine andere genommen... Die anderen haben es mir gesagt. Ausgerechnet als ich mich mit einer Bande lüsterner Musketiere rumschlagen musste... Ich stech dich ab wie ein Schwein... und die da auch!«
Ruhig stellte Nicolas Angélique ab und lehnte sie gegen die Mauer.
Dann erhob er seine wuchtige Faust, und das Mädchen fiel zu Boden.
»Jetzt hört alle gut zu«, sagte Nicolas Calembredaine. »Die hier« â er deutete auf Angélique -, »die gehört mir und niemandem sonst! Wenn einer von euch versucht, ihr auch nur ein Haar zu krümmen, oder wenn ihr Ãrger macht, dann bekommt ihr es mit mir zu tun. Ihr wisst, was das heiÃt...! Und was die Polackin angeht...«
Er packte das Mädchen am Mieder und schleuderte es mit einem kraftvollen, verächtlichen Stoà mitten in eine Gruppe von Kartenspielern.
»... mit der könnt ihr machen, was ihr wollt!«
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Dann drehte sich Nicolas Merlot, der Bauernbursche aus dem Poitou, der zum Wolf gewordene Hirte, zu der
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