Angelique Der Gefangene von Notre Dame
die Prinzessin sie zu beruhigen. »Der Mann, den Ihr als Euren Mörder bezeichnet, ist Monseigneur dâOrléans. Schaut doch nur einmal genauer hin.«
»Ich habe ihn mir schon mehr als genau angeschaut!«, rief Angélique. »Mein Lebtag werde ich sein Gesicht nicht mehr vergessen. Ich versichere Euch, er hat versucht, mich zu vergiften. Monsieur de Préfontaines, Ihr seid ein aufrechter Mann, bringt mir eine Arznei, Milch, was weià ich, damit ich die Wirkung dieses furchtbaren Gifts bekämpfen kann. Ich flehe Euch an... Monsieur de Préfontaines!«
Stammelnd und völlig verdutzt, eilte der arme Mann hinüber zu einer Pastillendose und reichte Angélique eine Schachtel mit Orvietan, von dem sie hastig ein paar Bröckchen einnahm.
Die allgemeine Bestürzung hatte ihren Höhepunkt erreicht.
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Die schmalen Lippen vor Ãrger zusammengekniffen, versuchte Monsieur immer noch, sich Gehör zu verschaffen.
»Ich versichere Euch, meine Freunde, dass diese Frau den Verstand verloren hat. Ihr alle wisst doch, dass sich ihr Gemahl im Augenblick in der Bastille befindet, und zwar wegen eines abscheulichen Verbrechens: der Hexerei! Die Unglückliche wurde von dem skandalumwitterten Edelmann mit einem Bann belegt und versucht nun, eine Unschuld zu beteuern, die kaum zu beweisen ist. Vergeblich hat Seine Majestät in seiner Güte heute versucht, sie wieder zur Vernunft zu bringen.«
»Pah! Der König und seine Güte...!«, versetzte Angélique wütend.
Bald würde sie anfangen, irre zu reden... Dann wäre es um sie geschehen!
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Sie vergrub das Gesicht in ihren Händen und bemühte sich, ruhiger zu werden.
Währenddessen hörte sie die treuherzige junge Stimme von Monsieur.
»Mit einem Mal bekam sie einen wahrhaft diabolischen Anfall. Sie ist vom Teufel besessen. Der König hat unverzüglich den Abt des Augustinerklosters rufen lassen, damit dieser versucht, sie mit rituellen Gebeten zu besänftigen. Aber sie konnte fliehen. Um ihr den Skandal zu ersparen, von den Wachen festgenommen zu werden, hat Seine Majestät mich beauftragt, sie zu suchen und bis zum Eintreffen der Mönche festzuhalten. Ich bedaure zutiefst, dass sie Eure Soirée gestört hat, Henriette. Ich glaube, das Klügste wäre, wenn Ihr Euch alle mit Euren Spielen
in ein Nebenzimmer zurückzögt, während ich hier erledige, was mir mein Bruder aufgetragen hat.«
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Wie durch einen Nebel sah Angélique, wie sich die Reihen der adligen Damen und Herren um sie herum nach und nach lichteten.
Beeindruckt und darauf bedacht, nichts zu tun, was dem Bruder des Königs missfallen könnte, zogen sich die Höflinge zurück.
Angélique hob die Hände. Sie trafen auf den Stoff eines Kleids, in das sich ihre kraftlosen Finger schon nicht mehr zu krallen vermochten.
»Madame«, flehte sie mit tonloser Stimme, »Ihr wollt mich doch nicht sterben lassen?«
Die Prinzessin zögerte. Sie warf ihrem Cousin einen ängstlichen Blick zu.
»Wie, Henriette«, protestierte dieser schmerzlich, »Ihr zweifelt an mir? Obwohl wir einander bereits gegenseitiges Vertrauen geschworen haben und bald durch heilige Bande miteinander verbunden sein werden?«
Die blonde Henriette senkte den Kopf.
»Vertraut Monseigneur, meine Freundin«, sagte sie zu Angélique. »Ich bin mir sicher, dass er nur Euer Bestes will.«
Rasch ging sie davon.
Wie in einem Delirium, das sie vor Angst stumm werden lieÃ, wandte sich Angélique, die immer noch auf dem Teppich kniete, der Tür zu, durch die die Höflinge so eilig verschwunden waren. Sie entdeckte Bernard dâAndijos und Péguilin de Lauzun, die sich, beide leichenblass im Gesicht, nicht dazu durchringen konnten, den Raum zu verlassen.
»Nun, Messieurs«, erklärte Monseigneur dâOrléans mit schriller Stimme, »meine Befehle gelten auch für Euch. Muss ich dem König etwa berichten, dass Ihr dem wirren Gerede
einer Verrückten mehr Glauben schenkt als den Worten seines eigenen Bruders?«
Die beiden Männer senkten den Kopf und folgten den anderen mit langsamen Schritten hinaus.
Dieser letzte Verrat weckte plötzlich Angéliques Kampfgeist.
»Ihr Feiglinge! Feiglinge! Oh, Ihr Feiglinge!«, schrie sie, sprang auf und hastete mit einem Satz hinter einen schützenden Sessel.
Nur um ein Haar entging sie dem Schwerthieb des Chevalier de
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