Angelique Der Gefangene von Notre Dame
gesehen.«
»Ein Mal hätte gereicht, Maître«, antwortete sie lachend. Und doch freute es sie unwillkürlich, ihn so besorgt zu sehen.
»Habt Ihr solche Angst, eine Klientin zu verlieren, die Euch schlecht entlohnt und darüber hinaus noch in Gefahr bringt?«, fragte sie.
Er verzog kläglich das Gesicht.
»Sentimentalität ist eine Krankheit, von der man sich nur sehr langsam erholt. Wenn dann noch Abenteuerlust dazukommt, ist ein dummes Ende gewiss. Kurzum, je verwickelter Eure Angelegenheit wird, desto mehr fasziniert sie mich. Wie geht es Eurer Verletzung?«
»Ihr habt schon davon gehört?«
»Wie es sich für einen Advokaten ziemt, der sich gelegentlich
als Büttel verdingt. Aber ich gestehe, dass der Herr hier an meiner Seite mir eine wertvolle Hilfe war.«
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Der wachsbleiche Cerbalaud, unter dessen Augen violette Schatten von Schlafmangel zeugten, berichtete ihr vom weiteren Verlauf der tragischen Ereignisse im Louvre, in die er durch allergröÃten Zufall verwickelt worden war.
In jener Nacht hatte er Wachdienst in den Stallungen der Tuilerien gehabt, als plötzlich ein keuchender Mann, der seine Perücke verloren hatte, aus den Gärten hervorstürzte. Es war Bernard dâAndijos. Gefolgt von den Häschern des Königsbruders, war er durch die GroÃe Galerie gerannt. Das rasende Hämmern seiner hölzernen Absätze hatte sowohl im Louvre als auch in den Tuilerien erschreckte Gesichter an die Türen der Zimmer und Gemächer gelockt. Im Vorbeilaufen hatte er die Wachen zur Seite gesto Ãen, die versucht hatten, sich ihm in den Weg zu stellen.
Während er hastig ein Pferd sattelte, hatte er erklärt, dass Madame de Peyrac beinahe ermordet worden sei und er selbst mit Monsieur dâOrléans die Klingen gekreuzt habe. Kurz darauf hatte er seinem Pferd die Sporen gegeben und war auf das offene Land zugaloppiert, wobei er noch gerufen hatte, dass er gen Süden reiten wolle, um das Languedoc gegen den König aufzuwiegeln.
»Oh, der arme Marquis dâAndijos!«, sagte Angélique. »Er... das Languedoc gegen den König aufwiegeln...?«
»Glaubt Ihr etwa, das wird er nicht tun?«, fragte Cerbalaud.
Ernst hob er einen Finger.
»Madame, Ihr habt das wahre Wesen der Gascogner nicht verstanden; Lachen und Zorn wechseln sich rasch ab, aber man weià nie, was am Ende überwiegt. Und wenn es der Zorn ist, Potzteufel, dann seht Euch vor!«
»Ihr habt recht, den Gascognern verdanke ich mein Leben. Wisst Ihr, was aus Monsieur de Lauzun geworden ist?«
»Er sitzt in der Bastille.«
»Mein Gott«, seufzte Angélique, »hoffentlich vergisst man ihn dort nicht die nächsten vierzig Jahre!«
»Seid unbesorgt, er wird sich schon in Erinnerung zu rufen wissen. AuÃerdem habe ich den Leichnam Eures früheren Haushofmeisters gesehen, der von zwei Lakaien fortgetragen wurde.«
»Der Teufel soll seine Seele holen!«
»Als ich schlieÃlich davon überzeugt war, dass Ihr ebenfalls ums Leben gekommen wart, habe ich Euren Schwager, den Prokurator Maître Fallot de Sancé, aufgesucht. Dort traf ich auf Euren Advokaten, Maître Desgrez. Wir sind zusammen zum Châtelet gegangen und haben dort alle Leichen von Ertrunkenen oder Ermordeten angeschaut, die heute Morgen in Paris aufgefunden wurden. Ein erbärmliches Geschäft, mir ist immer noch ganz übel davon. Und nun bin ich hier! Was habt Ihr jetzt vor, Madame? Ihr müsst so schnell wie möglich fliehen.«
Angélique blickte auf ihre Hände, die vor ihr auf dem Tisch lagen, neben dem groÃen Stielglas, in dem der Wein, den sie nicht angerührt hatte, funkelte wie ein dunkler Rubin. Sie erschienen ihr ungewöhnlich klein und von einem zerbrechlichen WeiÃ. Unwillkürlich verglich sie sie mit den starken männlichen Händen ihrer Begleiter.
Als Stammgast des Lokals stellte Desgrez eine aus Horn geschnitzte Dose vor sich hin und rieb ein wenig Tabak, ehe er seine Pfeife stopfte.
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Angélique fühlte sich sehr allein und schwach.
»Wenn ich recht verstehe«, sagte Gontran unvermittelt, »bist du also in eine üble Geschichte verwickelt, bei der dein Leben in Gefahr ist. Das passt zu dir. So etwas sind wir von dir gewohnt!«
»Monsieur de Peyrac ist in der Bastille, man beschuldigt ihn der Hexerei«, erklärte Desgrez.
»Das passt zu dir«, wiederholte Gontran.
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