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Angelique Der Gefangene von Notre Dame

Titel: Angelique Der Gefangene von Notre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Golon Anne
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recht. Gott weiß, dass es in dieser Stadt kaum einen Menschen gibt, der sie besser kennt als ich. Als ich allein auf Marie-Galante zurückblieb, weil meine Mutter mit meinem Bruder das Schiff bestieg, um nach Frankreich zurückzukehren und nach meinem Vater zu suchen, nahm mich unsere schwarze Magd, die unsere Unterkunft fegte und unsere Wäsche wusch, in ihre Obhut. Und ich gebe zu, dass es mir in ihrer Sklavenhütte, die kaum weniger komfortabel war als die Häuser der Weißen, aber wo die Menschen fröhlich waren und ich friedlich schlafen konnte, tausendmal besser ging. Ihr Mann servierte im Haushalt des Gouverneurs bei Tisch, und er informierte diesen darüber, dass ich allein und ohne Verwandte zurückgelassen worden war.«
    Â»Wie alt wart Ihr damals?«, wollte Angélique wissen.
    Â»Ich kam mit neun Jahren nach Marie-Galante und blieb drei
Jahre dort. Nachdem der Gouverneur von meiner Lage erfahren hatte, wurde er furchtbar zornig, weil meine Mutter mich einfach im Stich gelassen hatte. Er hat unzählige Briefe geschrieben, die er mit jedem ablegenden Schiff nach Frankreich schickte, und er beauftragte die Boten, meine Mutter zu finden und ihr zu befehlen, mit dem Geld, das er ihr vorstreckte, zurückzukommen und ihre Tochter zu holen. Was sie dann schließlich auch tat.«
    Â»Dieser Gouverneur war ein guter Mensch«, erklärte Angélique bestimmt.
    Â»Ja. Manchmal finden sich solche Menschen auf der Welt, um verlassenen Kindern zu helfen«, entgegnete die Witwe Scarron leise, fast so, als kämen die Worte ohne ihr eigenes Zutun.
    Â 
    Die Erinnerung an ihre angsterfüllte Kindheit schwebte zwischen ihnen. Doch Madame Scarron fing sich rasch wieder.
    Es gab viel zu erzählen über Marie-Galante und die zwiespältigen Erinnerungen, die sie an jene Zeit bewahrte.
    Françoise scheute sich nicht, zu sagen, dass sie durch ihre Antworten auf Scarrons Fragen zu diesem Land das Interesse des Dichters geweckt hatte, als sie mit fünfzehn Jahren in seinen berühmten Salon gekommen war. Er hatte es sich in den Kopf gesetzt, dass das feuchte, warme Klima Westindiens ihn von der schrecklichen Krankheit kurieren könnte, die ihn seit mehreren Jahren quälte und seinen Körper mit jedem Tag stärker krümmte. Er hatte sich das Leiden bei einem jener Karnevalsfeste zugezogen, die stets in Maßlosigkeit münden, einem Maskenball, bei dem er gezwungen gewesen war, eine ganze Nacht halbnackt im eisigen Flusswasser zu verbringen, um seinen Verfolgern zu entkommen oder irgendeine unsinnige Wette zu gewinnen.
    Von dem Fieber und dem Rheuma, das bei jener Gelegenheit ausgebrochen war und seinen Rumpf wie auch seine Gliedmaßen,
Arme, Beine und Finger, immer mehr zusammenzog, hatte er sich nie wieder erholt.
    Zum Schluss war man sogar gezwungen, vor seinem Stuhl niederzuknien, wenn man ihm ins Gesicht sehen wollte. Dieser Stuhl war eigens für ihn angefertigt worden, und er blieb sowohl tagsüber als auch nachts darin sitzen, weil er nie wieder in der Lage sein würde, ausgestreckt in einem Bett zu liegen.
    Â 
    Â»Hatte er große Schmerzen?«, fragte Angélique.
    Â»Er litt furchtbar, und die Schmerzen gönnten ihm keine Minute Ruhe«, antwortete die junge Witwe.
    Ihre Stimme klang dabei nicht gleichgültig. Leise murmelte sie etwas vor sich hin, und Angélique erkannte, dass sie ein paar Verse zitierte, die der Dichter selbst als Inschrift für seinen Grabstein verfasst hatte:
    Â»Wanderer, sei still, gib acht
weck ihn nicht auf, hier schläft heut’ Nacht,
zum ersten Mal seit langer Zeit
Scarron, von seinem Schmerz befreit.«
    Angélique wurde das Herz schwer, und sie wagte nicht, ihr von ihren eigenen Kindheitserinnerungen zu erzählen, als sie gesehen hatte, wie ein unglücklicher, vor Schmerzen gekrümmter Mann sich wie durch ein Wunder entspannte und dem Himmel für die Erleichterung dankte, nachdem Mélusine ihm einen Trank eingeflößt oder ihn mit einer Salbe eingerieben hatte.
    Â 
    Ohne es zu wollen, wurde Scarrons Witwe lebhafter, als sie von der geistreichen Gesellschaft erzählte, die sich um den Dichter versammelt hatte – und zwar mehr noch als zuvor, seit ihn sein Gebrechen ans Haus gefesselt hatte. Acht Jahre lang war sie die vergötterte Hetäre dieser mannigfaltigen, vorzüglichen Gesellschaft gewesen, umso mehr, als sie sich nicht nur durch einen
scharfen Verstand,

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