Angelique Der Gefangene von Notre Dame
Leben weiterführten. Sie hatte immer davon geträumt, Paris und seine Alkoven kennenzulernen, wo sich die klügsten Geister ihrer Zeit versammelten...! 4
Neben ihr verdrehte Kouassi-Ba vor Angst die Augen. Sie hatte für ihn bei einem Altkleiderhändler im Temple eine alte Livree mit ausgebleichtem Goldbesatz geliehen, in der er eine recht kümmerliche Figur abgab.
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Endlich öffnete sich die Tür, und hinter der Zofe von Madame de Soissons rauschte die Gräfin selbst, lebhaft und mit ihrem Fächer wedelnd, herein.
»Ah, da ist ja die Frau, von der du mir erzählt hast, Bertille!«
Sie verstummte und musterte Angélique aufmerksam.
»Gott vergib mir«, rief sie dann, »seid Ihr das, meine Liebe?«
»Ich bin es«, antwortete Angélique lachend, »aber bitte, seid nicht verwundert. Ihr wisst doch, dass mein Gemahl in der Bastille ist, und mir fällt es schwer, in besseren Verhältnissen zu leben als er.«
»Ach ja«, erinnerte sich Olympia de Soissons. »Aber haben wir nicht alle ungnädige Zeiten durchlebt? Nachdem mein Onkel, Kardinal Mazarin, aus Frankreich fliehen musste, trugen meine Schwestern und ich löchrige Röcke, und das Volk auf der StraÃe warf Steine nach unserer Kutsche und nannte uns die âºMancini-Dirnenâ¹. Und nun, da der arme Kardinal im Sterben liegt, sind die Menschen dort drauÃen darüber bekümmerter als ich. Ihr seht, wie sich das Rad dreht...! Aber ist das hier tatsächlich Euer Mohr, meine Liebe? Ich hatte ihn schöner in Erinnerung! Besser genährt und auch schwärzer...«
»Das liegt nur daran, dass er Hunger hat und friert«, entgegnete Angélique hastig. »Aber Ihr werdet schon sehen, sobald er etwas gegessen hat, wird er wieder kohlrabenschwarz.«
Die schöne Frau verzog enttäuscht das Gesicht.
Da richtete sich Kouassi-Ba mit einer katzenhaften Bewegung auf.
»Ich bin noch stark! Schau!«
Er riss die alte Livree auf, und sein von seltsamen wulstigen Tätowierungen bedeckter Oberkörper wurde sichtbar. Er straffte seine Schultern, spannte die Muskeln an und hob die Arme nach vorn wie ein Ringkämpfer auf dem Jahrmarkt. Lichtreflexe glitten über seine dunkle Haut.
Wie er so aufrecht und reglos dastand, schien er mit einem Mal zu wachsen. Trotz seiner ungerührten Miene füllte seine
wilde Gegenwart den kleinen Raum vollständig aus und lieà fremdartige Mysterien darin aufscheinen. Bleiches Sonnenlicht fiel durch die Scheiben und umhüllte diesen vertriebenen Sohn Afrikas mit goldenem Schein.
SchlieÃlich senkten sich die langen ägyptischen Wimpern über seine elfenbeinfarbenen Augäpfel, bis nur noch ein schmaler Schlitz blieb, aus dem er die Gräfin de Soissons musterte. Langsam verzogen sich die vollen Lippen des Mohren zu einem gleichermaÃen arroganten wie zärtlichen Lächeln.
Noch nie hatte Angélique Kouassi-Ba so schön gesehen, und noch nie, nein niemals, so... furchterregend.
In seiner ganzen primitiven Kraft fixierte der Schwarze seine Beute. Instinktiv hatte er erfasst, was diese weiÃe, nach neuartigen Wonnen gierende Frau von ihm wollte.
Olympia de Soissons stand mit halb geöffneten Lippen da. Sie schien unter einem Bann zu stehen. In ihren dunklen Augen loderte ein seltsames Feuer. Das Klopfen in ihrem schönen Busen und der lüsterne Ausdruck ihres Mundes verrieten ihr Begehren mit einer solchen Schamlosigkeit, dass selbst ihre dreiste Zofe unvermittelt den Kopf senkte und Angélique der Wunsch überkam, hinauszurennen und die Tür hinter sich zuzuschlagen.
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SchlieÃlich schien die Gräfin sich wieder zu fassen und fächelte sich mechanisch Luft zu.
»Wie viel... wie viel wollt Ihr für ihn haben?«
»Zweitausendfünfhundert Livres.«
Die Augen der Zofe leuchteten auf.
Unsanft wieder in die Wirklichkeit zurückgeholt, zuckte Olympia de Soissons zusammen.
»Ihr seid verrückt!«
»Zweitausendfünfhundert Livres, oder ich behalte ihn«, erklärte Angélique kühl.
»Meine Liebe...«
»Oh, Madame«, rief Bertille, die zaghaft einen Finger auf Kouassi-Bas Arm gelegt hatte, »seine Haut ist so zart! Niemand würde glauben, dass ein Mann so eine zarte Haut haben kann. Sie fühlt sich an wie ein getrocknetes Blütenblatt.«
Daraufhin strich auch die Gräfin mit einem Finger über die glatte, geschmeidige Haut an seinem Arm.
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