Angélique - Die junge Marquise - Golon, A: Angélique - Die junge Marquise - Angélique 01. Marquise des Anges
Bären zur Ehre gereicht hätte als
der flinken Zunge seiner Mutter. Die aus einem feuchten Wandschrank geholte Tischdecke dampfte unter den heißen Suppentellern. Einer der Diener putzte in seinem Übereifer ununterbrochen die wenigen Kerzen, wobei er sie mehrere Male löschte.
Angélique litt unter ihrem unterdrückten Zorn. Philippe rächte sich für den Vorfall in der Halle, als sein Vater ihn zurechtgewiesen hatte, dass er nichts über die Traditionen des Poitou wisse, weil er nicht glauben wollte, dass die Fee Mélusine die Ahnfrau des Geschlechts der Lusignan war.
Zu allem Unglück kam auch noch der Bursche, den man ins Pfarrhaus geschickt hatte, um Wein zu holen, zurück und berichtete, sich am Kopf kratzend, dass der Pfarrer fortgegangen sei, um in einem benachbarten Weiler Ratten zu exorzieren, und seine Magd Marie-Jeanne sich geweigert habe, ihm auch nur das kleinste Fässchen zu geben.
»Macht Euch darüber keine Gedanken, liebe Cousine«, mischte sich der Marquis du Plessis galant ein, »dann trinken wir eben Apfeltresterwein, und wenn mein Herr Sohn sich daran nicht gewöhnen kann, dann soll er das Trinken eben lassen. Aber sagt mir doch, was habe ich da eben gehört? Ich habe den Dialekt dieser Gegend selbst ein wenig mit meiner Amme gesprochen, und ich beherrsche ihn gut genug, um verstanden zu haben, was dieser Bauernjunge gesagt hat. Der Pfarrer soll fortgegangen sein, um Ratten zu exorzieren … Was ist das denn für eine Geschichte?«
»Nichts Verwunderliches, lieber Cousin. Die Bewohner eines nahen Weilers klagen tatsächlich schon seit einiger Zeit über eine Rattenplage. Die Biester fressen ihnen die Kornspeicher leer. Der Pfarrer muss wohl zu ihnen gegangen sein, um Weihwasser zu versprengen und die passenden Gebete zu sprechen. So werden die bösen Geister ausgetrieben, von denen die Tiere besessen sind, und diese hören mit ihren Untaten auf.«
Der Marquis schaute Armand de Sancé verblüfft an, dann lehnte er sich auf seinem Stuhl zurück und begann leise zu lachen.
»So etwas Komisches habe ich ja noch nie gehört. Das muss ich unbedingt Madame de Beaufort schreiben; um die Ratten unschädlich zu machen, besprengt man sie also mit Weihwasser …?«
»Was ist denn daran so lächerlich?«, protestierte Baron Armand. »Alles Übel ist das Werk böser Geister, die heimlich in den Körper von Tieren fahren, um den Menschen zu schaden. Im letzten Jahr wurde eines meiner Felder von Raupen befallen. Ich habe die Dämonen vom Pfarrer austreiben lassen.«
»Und daraufhin sind die Raupen verschwunden?«
»Ja. Kaum zwei oder drei Tage später.«
»Als sie auf Eurem Feld nichts mehr zu fressen fanden.«
Obwohl es zu Madame de Sancés Grundsätzen gehörte, dass eine Frau sittsam zu schweigen habe, konnte sie sich nicht zurückhalten, das Wort zu ergreifen, um ihren vermeintlich angegriffenen Glauben zu verteidigen.
»Ich wüsste nicht, mein lieber Cousin, wieso geheiligte Verrichtungen keinen Einfluss auf schädliche Tiere haben sollten. Steht nicht im Evangelium geschrieben, dass unser Herr selbst Dämonen in eine Schweineherde fahren ließ? Unser Pfarrer misst solchen Gebeten eine große Bedeutung bei.«
»Und wie viel bezahlt Ihr ihm für jeden Exorzismus?«
»Er verlangt nicht viel, und er ist stets bereit zu kommen, wenn man ihn ruft.«
Diesmal bemerkte Angélique den verschwörerischen Blick, den der Marquis du Plessis mit seinem Sohn wechselte. Diese armen Leute, schien er zu sagen, sind wirklich unfassbar naiv.
»Über diese ländlichen Gebräuche muss ich unbedingt mit Monsieur Vincent reden«, sprach der Marquis weiter. »Der
arme Mann wird sich krank darüber ärgern, wo er doch einen Orden gegründet hat, der eigens damit beauftragt ist, die Priester auf dem Land weiterzubilden. Seine Missionare haben sich unter den Schutz des heiligen Lazarus gestellt und nennen sich die Lazaristen. Zu dritt ziehen sie durch die Lande, predigen und bringen den Pfarrern in unseren Dörfern bei, die Messe nicht mit dem Paternoster zu beginnen und nicht bei ihrer Magd zu schlafen. Es ist ein recht unerwartetes Ansinnen, aber Monsieur Vincent ist ein Verfechter der Reform der Kirche durch die Kirche selbst.«
»Das ist ja nun ein Wort, das ich gar nicht leiden kann!«, rief der alte Baron. »Reform! Immer wieder Reform! Eure Worte haben einen hugenottischen Klang, Cousin. Ich fürchte, von da bis zum Verrat am König ist es nur noch ein kleiner Schritt. Und was Euren Monsieur Vincent
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