Angélique - Die junge Marquise - Golon, A: Angélique - Die junge Marquise - Angélique 01. Marquise des Anges
denen nicht einmal Gontran etwas wusste. Eine davon, die sie auf allen Vieren unter einem Schauer von
Erde und Kieseln entlangkroch, ließ sie wie ein Kaninchen, das aus seinem Bau lugte, unweit des Waldrands herauskommen. Sie richtete sich hastig auf und rannte unter die schützenden Bäume. Es regnete zwar nicht mehr, aber ringsum raschelte es immer noch von den Regentropfen, die nach dem gerade erst zu Ende gegangenen Schauer von Blatt zu Blatt rollten.
Angélique vermutete, dass die Hexe in ihrer Höhle sein würde, deren Eingang im Felshang hinter einem Vorhang aus dichten Kletterpflanzen verborgen war. Sie wollte so schnell wie möglich zu ihr, denn sie war sich sicher, dass Mélusine sie verstehen würde und ihr das zurückgeben könnte, was der Besuch der Plessis-Bellières ihr geraubt hatte: Ruhe und Seelenfrieden … Nachdem sie sich von ihrem Schwächeanfall wieder erholt hatte, hatte die Erinnerung an Philippes verächtliche Bemerkungen den Gedanken an die Unannehmlichkeiten, von denen ihre Mutter ihr erzählt hatte, vorübergehend in den Hintergrund gedrängt.
Mélusine kniete vor ihrem kleinen Kohlenfeuer, auf das sie einen rußverkrusteten Wasserkessel stellte.
Angélique war schon früher aufgefallen, dass selbst bei größter Kälte in der Höhle eine angenehme Wärme herrschte, als nähmen die mit einem sandigen Strohputz überzogenen Wände alle Feuchtigkeit auf. Mélusine pflegte freundschaftliche Beziehungen zur ganzen Natur.
Es hatte den Anschein, als wüsste die Hexe bereits, warum ihre Besucherin auftauchte. Dennoch lauschte sie Angéliques erbitterten Erklärungen aufmerksam und mit einem leisen Lächeln auf den blassen Lippen, während sie nach und nach Blütenblätter und Pülverchen in ihren Wasserkessel fallen ließ.
»Nicht weinen, meine kleine Fee. Wenn du ein wenig älter bist, werde ich dich alle Geheimnisse lehren, damit dir die Liebe nicht zum Feind wird.«
Ihr Lächeln verschwand.
»Aber das bedeutet nicht, dass sie dir geschenkt werden wird.«
Durch den wohlriechenden Dampf hindurch glaubte Angélique zu sehen, wie sich ein strenger, trauriger Ausdruck über das Gesicht ihrer Freundin legte. Eine neue Angst verdrängte den Zorn und die Bitterkeit, die seit einiger Zeit in ihr brodelten.
»Was muss ich denn tun, damit mir Liebe geschenkt wird?«, fragte sie.
Mélusine fand zu ihrer üblichen Fröhlichkeit zurück und lachte.
»Die Liebe ist eine Wissenschaft«, sagte sie leise.
Angélique hatte das Gefühl, dass ihre Fragen und naiven Überlegungen ihr Mitleid weckten.
»Du musst sein! Lebe! Das ist alles. Auch das Leben ist eine Wissenschaft.«
»Lebe ich denn?«, fragte Angélique ängstlich.
»O ja! Du lebst mehr als alle anderen, die mir hier in diesem Wald begegnen.«
Gehorsam trank Angélique das Gebräu, das die Hexe für sie zubereitet hatte. Würde sie dadurch vergessen können?
»Ich muss dir noch vieles beibringen, mein Kind. Komm von jetzt an öfter. Du hast ein wunderbares Gedächtnis. Sei nicht faul. Du kannst alles lernen, was du willst... wenn du es willst …«
Diese aus Mélusines Zuneigung entsprungenen Worte erschienen Angélique ein wenig übertrieben, aber sie freute sich darüber. Das war immer noch besser als das hilflose Seufzen und die Klagen, die ihr Vater und Pulchérie ausstießen, wenn sie an sie dachten.
Der Besuch des Marquis du Plessis und seines Sohnes wiederholte sich nicht. Man hörte, dass sie andere Landadlige aus der
Nachbarschaft eingeladen hatten, um sie aufzufordern, Monsieur de Condé in den Dienst des Königs zu folgen. Sie hatten ein, zwei Feste mit großem Bankett veranstaltet und waren dann mit ihrer nagelneuen Armee zur Île-de-France zurückgekehrt. Ihre Werber waren auch nach Monteloup gekommen.
Im Schloss hatten sich Jean-la-Cuirasse und ein Hofknecht von der ruhmreichen Zukunft locken lassen, die den Dragonern des Königs winkte. Die Amme Fantine vergoss bittere Tränen beim Aufbruch ihres ältesten Sohnes.
»Er war kein schlechter Junge, und jetzt wird er ein Soldat wie Ihr«, sagte sie zu Guillaume Lützen.
»Das liegt ihm im Blut, meine Gute. Soll sein Vater nicht auch ein Kriegsmann gewesen sein?«
Um die Tage zu bezeichnen, gewöhnte man sich an, zu sagen, es sei »vor« oder »nach dem Besuch des Marquis du Plessis« gewesen.
Das Gebräu der Hexe brachte Vergessen.
Etwas war geschehen, und das alte Schloss bewahrte sich danach im frühlingshaften Licht eine gewisse lauernde Neugier. Doch in
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