Angélique - Die junge Marquise - Golon, A: Angélique - Die junge Marquise - Angélique 01. Marquise des Anges
Küstenhandel betreiben?«, fiel ihm Josselin ins Wort.
»Einige Männer aus Dieppe betreiben dort Küstenschifffahrt, und auch ein paar aus dieser Gegend hier. Mein Cousin arbeitet für einen Reeder, der hin und wieder Schiffe zur Franziskanischen
Küste ausrüstet, wie man zu Zeiten von Franz I. sagte.«
»Ich weiß, ich weiß«, unterbrach ihn der ungeduldige Josselin erneut. »Ich weiß auch, dass ab und an Seeleute aus Les Sables-d’Olonne nach Neufundland segeln und Männer aus dem Norden nach Neufrankreich, aber das sollen kalte Landstriche sein, und das würde mir nicht sonderlich gefallen.«
»Ja, Ihr habt recht, Champlain wurde schon 1603 nach Neufrankreich entsandt, und es gibt dort viele französische Siedler. Aber es ist in der Tat ein kaltes Land, und das Leben dort ist hart.«
»Warum?«
»Das ist schwer zu erklären. Vielleicht weil es dort bereits französische Jesuiten gibt.«
»Ihr seid Protestant, nicht wahr?«, fragte Raymond schroff.
»Ganz recht. Ich bin sogar Pastor, wenn auch ohne eigene Pfarrei, aber vor allem bin ich ein Reisender.«
»Das trifft sich aber schlecht, Monsieur.« Josselin lachte höhnisch. »Ich habe den Verdacht, dass sich mein Bruder stark von der Disziplin und den spirituellen Übungen der Gesellschaft Jesu angezogen fühlt, die Ihr hier angreift.«
»Es läge mir fern, ihm deswegen Vorwürfe zu machen«, entgegnete der Hugenotte mit einer abwehrenden Geste. »Ich bin in Amerika so manches Mal den Jesuitenpatres begegnet, die mit bewunderungswürdigem christlichem Mut und Selbstverleugnung ins Landesinnere vorgedrungen sind. Für manche Stämme Neufrankreichs gibt es keinen größeren Helden als den berühmten Pater Jogues, den Märtyrer der Irokesen. Aber jeder ist frei in seinem Gewissen und seinen Überzeugungen.«
»Na ja«, bemerkte Josselin, »ich kann mich schlecht ausführlicher mit Euch über diese Themen unterhalten, denn ich
fange allmählich an, mein Latein zu vergessen. Aber mein Bruder spricht es vorzüglicher als Französisch und …«
»Und genau das ist eines der größten Übel hier in unserem Land«, rief der Pastor. »Das man zu seinem Gott, was sage ich, dem Gott der Welten, nicht einmal mehr in seiner Muttersprache und mit seinem Herzen beten kann, sondern dass man sich lateinischer Beschwörungsformeln bedienen soll …«
Angélique bedauerte, dass die Flutwellen und Schiffe nicht mehr zur Sprache kamen und die außergewöhnlichen Tiere, Schlangen etwa oder riesige Eidechsen mit Hechtzähnen, die ein Rind töten konnten, oder jene Wale, die so groß waren wie ein Schiff, all diese Wunder, über die sie manchmal gesprochen hatten, wenn von Amerika die Rede war. Sie hatte nicht bemerkt, dass die Amme den Raum verlassen hatte. Dabei hatte sie die Tür einen Spalt offen stehen lassen. Und so hörten sie plötzlich ein Flüstern und die Stimme von Madame de Sancé, die sich unbelauscht wähnte.
»Protestant oder nicht, meine Liebe, dieser Mann ist unser Gast, und er wird so lange hierbleiben, wie es ihm beliebt.«
Kurz darauf betrat die Baronin, gefolgt von Hortense, die Küche.
Der Besucher verneigte sich äußerst höflich vor ihr, jedoch ohne Handkuss oder höfische Reverenz. Angélique dachte bei sich, dass er zweifellos ein Bürgerlicher sein musste, zwar Hugenotte, aber dennoch kultiviert, wenn auch ein klein wenig überspannt.
»Pastor Rochefort«, stellte er sich vor. »Ich bin auf dem Weg nach Secondigny, wo ich geboren wurde, aber der Weg dorthin ist noch weit, und so hoffte ich, mich unter Eurem gastfreundlichen Dach ein wenig ausruhen zu können, Madame.«
Die Hausherrin versicherte ihm, dass er ihnen willkommen sei. Sie seien zwar alle praktizierende Katholiken, aber das hindere
sie nicht daran, Toleranz zu üben, wie es der gute König Heinrich IV. empfohlen hatte.
»Das wagte ich auch zu hoffen, als ich dieses Schloss betrat, Madame«, antwortete der Pastor und verneigte sich noch tiefer als zuvor, »denn ich muss Euch gestehen, dass Freunde mir verraten haben, dass Ihr seit einigen Jahren einen alten Dienstboten bei Euch habt, dessen deutsche Herkunft vermuten lässt, dass er der reformierten, wahrscheinlich der lutherischen Religion angehört. Daher habe ich ihn als Erstes aufgesucht, und es war dieser Guillaume Lützen, der mich hat hoffen lassen, dass ich heute Nacht bei Euch Zuflucht finden könnte.«
»Dessen könnt Ihr Euch sicher sein, Monsieur, und auch noch die nächsten Tage, wenn es Euch beliebt.«
»Mir
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