Angélique - Hochzeit wider Willen
klar werden, wie wichtig diese in ihren Formen beinahe unendlich vielfältigen Nuancen – schmale Gläser, längere oder bauchigere Kelche – waren, um die Botschaft des Weins mit Nase und Zunge zu empfangen. Zwar nahm sie in dem Weißwein, der zur Poularde gereicht wurde, nicht die Aromen von Honig und Vanille – was war eigentlich Vanille? – wahr, doch in dem Schluck von dem Rotwein, den der Graf als »glanzvoll« bezeichnet hatte, erkannte sie, so wie er es erklärt hatte, diesen Ton von Humus aus dem Unterholz, der zu den zum Fleisch gereichten Champignons passte.
Während sie trank, hielt sie die Augen halb geschlossen, amüsierte sich über ihre Entdeckungen und kostete die Enthüllungen aus, welche die Anziehungskraft halb erahnter Geheimnisse besaßen.
Als sie ihr Glas absetzte, spürte sie wieder seinen Blick, und erneut durchfuhr sie die Angst, diesem Einfluss zu unterliegen, und weckte sie wie aus einem Traum. Lebhaft wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder den Unbekannten zu, die sie umgaben; aber keiner von ihnen sah aus, als fürchte er, sich in der Höhle eines Magiers zu befinden; und wenn ja, dann nur, um sich über die Wunder, die er ihnen ankündigte, zu begeistern. Bei den Ursulinen hatte die Oberin zu ihnen über die Kunst gesprochen, gesellschaftliche Konversation zu betreiben, die es je nach der Stellung, die sie einmal einnehmen würden, oft notwendig machen würden, dass sie sich als Frauen von Witz und Entschlossenheit zeigten. In einigen Fällen mochte es sogar vorkommen, dass sie ein Gespräch, das die Moral und den Anstand verletzte, wieder in den Rahmen des Schicklichen zurücklenkten. Mit diesem Ziel hatte man den jungen Damen einige Beispiele für Themen und Entgegnungen unterbreitet, welche die Oberin »Schemata« genannt hatte – einfach und
wenig zahlreich, denn nach wie vor galt der Grundsatz, dass es für eine Frau von Vollkommenheit kündet, wenn sie so wenig schwatzhaft wie möglich ist.
Konversation betreiben? Nun gut... Doch zuerst musste sie mehr über die Stellung der Menschen um sie herum herausfinden, die in diesem Moment ehrfürchtig Gerichte und Weine verkosteten.
Sie bemerkte einen Mann von etwa fünfzig Jahren, der in unmittelbarer Nachbarschaft des Grafen de Peyrac saß und im Gespräch mit ihm eine ganz ungewöhnliche Vertrautheit und Lebhaftigkeit an den Tag legte; denn im Allgemeinen, so war Angélique aufgefallen, begegnete man dem Grafen mit jener Art von Zurückhaltung, Respekt oder Furcht, wie sie am Hof eines Königs herrscht. Andijos nannte ihr seinen Namen und erklärte, es handele sich um einen der besten Freunde des Grafen de Peyrac, der Unterpächter beim Finanzpachtamt für die Salzsteuer im Languedoc sei. Ein Steuereintreiber also.
Nie hätte Angélique sich vorstellen können, dass ein Vertreter dieses von ihrem Großvater gehassten Schlages an einer Tafel mit den Fürsten sitzen könnte. Dann meldete sich eine der Damen zu Wort, die zwischen dem Seneschall, einem grauhaarigen Herrn, und einem der Toulouser Ratsherren saß, eine recht hübsche, junge Frau, die auf den Namen Giralda de Lanzac hörte. Sie erklärte, dass ihr Aufenthalt im Palast der fröhlichen Wissenschaft ein Segen des Himmels und seiner Schutzheiligen sei.
»Mein Anwesen liegt so abgeschieden in den Bergen, dass die Nachricht von Eurer Hochzeit, Monsieur de Peyrac, nicht zu mir gedrungen war«, sagte sie, an den Grafen gewandt, mit betrübter Miene. »Da segne ich die Umstände, die mich aus meinem Heim vertrieben haben, da sie mir erlaubten, daran teilzunehmen.«
Sie berichtete, was genau diese »Umstände« gewesen waren. Eine ihrer Nachbarinnen, die Marquise de Couange, die sie selten sah, da die Wege und Brücken meist schadhaft und unpassierbar waren, hatte eines Abends einer Gruppe von Männern geöffnet, die an die Pforte ihres Schlosses hämmerten, und sich Auge in Auge mit drei gedungenen Mördern wiedergefunden.
Nun hagelte es Fragen.
»Aber warum hat sie ihnen die Tür geöffnet?«
»Sie kamen von ihrem Gatten.«
»Und wo befand sich dieser?«
»Bei den Armeen im Norden.«
»Und wieso schickte er ihr drei gedungene Mörder?«
Madame de Lanzac erklärte, dies sei seinem Bemühen um Ritterlichkeit geschuldet gewesen. Er habe so rasch wie möglich das enorme Vermögen an sich bringen wollen, das seine Frau soeben durch den Tod ihrer Eltern – von dem sie noch nichts wusste – geerbt hatte. So habe er ihr ohne Verzug diese Meuchelmörder geschickt,
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