Angélique - Hochzeit wider Willen
finden und sich frei mit den Damen und Herren, die sie begleiteten, unterhalten.
Andijos berichtete ihr mehr über den Steuereinnehmer, dessen enge Freundschaft zu Monsieur de Peyrac sie so verwundert hatte. So recht begriff Andijos ihre Vorbehalte nicht; wahrscheinlich hatte er noch nie Probleme mit einem Steuereintreiber gehabt. Doch der Freund von Monsieur de Peyrac übte nicht nur das Amt, das er erworben hatte, ausgezeichnet aus; denn er war einigermaßen begütert. Vor allem war er ein begabter Konstrukteur, der gemeinsam mit dem Grafen einen grandiosen Plan verfolgte. Andijos erinnerte Angélique an ihre Reise und an seine Erläuterungen bezüglich der Klimaeinflüsse, die im Herzen verschiedener »kleiner Königreiche« in der Gegend von Toulouse zusammentrafen; milde, feuchte Einflüsse aus dem Westen, vom Golf von Biskaya, der in den Atlantik münde, und trockenere und oft glühend heiße Winde aus dem Osten, vom Mittelmeer. Dieser Konstrukteur besaß ein besonderes Gespür für Wasser: Ob Quellen, Flüsse, die »Gaves« in den Bergen, ob Wildwasser oder Bach, er berechnete ihren Lauf und erriet ihren möglichen Weg durch die umgebenden Gegenden. Er war in Béziers geboren, stammte also aus dem »Land der Wasser« und träumte davon, von der Garonne aus, die bis Toulouse schiffbar war, einen Kanal auszuheben, der die beiden Meere verbinden sollte.
Eine Utopie, ein nicht durchführbarer Plan, von dem vor ihm schon viele andere geträumt hatten. Monsieur de Peyrac
unterstützte ihn mit seinem Vermögen und seinen Kräften. Was für Kräfte?, hätte Angélique beinahe gefragt.
Sie erlegte sich die Pflicht auf, über alles, was ihr ein wenig seltsam vorkam, Aufklärung zu suchen. Die zahlreichen düsteren Warnungen, die sie von Monteloup mitgenommen hatte, kamen ihr viel zu oft in den Sinn und erschienen ihr manchmal sogar im Traum. Unschlüssig wachte sie dann auf. Fasziniert von allem, was sie umgab, fragte sie sich, ob und wie sie jemals Gewissheit darüber erlangen würde, dass sie sich nicht auf dem Schloss von Gilles de Retz befand.
Die Zeit verging, und der Nachhall dieser beunruhigenden Enthüllungen verblasste. Sie war von so viel Licht und Fröhlichkeit umgeben, dass sie davon verschlungen wurde wie von einem unsichtbaren Wasserfall.
Überall war hier Musik.
Oft erklang sie, diskret nur, aus der Ferne. Oder die Musiker versteckten sich hinter den schattigen Laubengängen und begleiteten die Stunden der Mittagsruhe mit kleinen, schmachtenden Motetten. Wenn es dämmerte, wurde zum Abschluss des Essens häufig ein kleiner Ball abgehalten. Die Mahlzeit wurde entweder an dem langen Tisch aufgetragen oder, was häufiger vorkam, der abwechslungsreiche Imbiss aus Früchten, Konfekt und Gebäck wurde auf kleinen Tischen angerichtet, an denen je nach Herzensneigung oder Freundschaft zwei, drei oder vier Personen Platz nehmen konnten.
Jedem stand vollständig frei, wie er über diese Stunden verfügte, die dem Zauber der zwischenmenschlichen Begegnung gewidmet waren. Man kam und ging ganz nach Belieben, und gerade dadurch gewannen diese schönen Empfänge im Palast der fröhlichen Wissenschaft ihren besonderen, unnachahmlichen Reiz.
Angélique verwirrte diese Lebensweise ganz und gar nicht.
Auch in Monteloup stand stets jedem, der vorüberkam, die Tür offen; auch wenn sich dort die Gastfreundschaft in einem raueren Klima und vor einem ländlichen Hintergrund abspielte.
Wer dem Großvater einen Gruß entbieten, Schutz vor dem Regen suchen oder sich nach dem Befinden der Familie de Sancé erkundigen wollte, überschritt die Zugbrücke, stieg die Treppe hinauf und machte sich an der Tür bemerkbar. Angélique hatte diese Überraschungsbesuche immer geliebt, die ihr Gelegenheit gaben, ihre Handarbeiten bei Pulchérie im Stich zu lassen, die Treppe hinunterzueilen und entweder neue Gesichter kennenzulernen oder andere wiederzusehen, die zu vergessen jammerschade gewesen wäre.
In den großen Prunkgemächern, die zur Stadt hin lagen, fand eine große Zahl von Gästen Platz. Viele blieben, ein Glas in der Hand, stehen. Gruppen fanden sich zusammen, lösten sich wieder auf, und alle gingen umher, um das Vergnügen zu genießen, sich wiederzusehen oder aufeinander zuzugehen, sich vorzustellen und Bekanntschaft zu schließen. Die Gespräche, der Austausch von Neuigkeiten aus dem Krieg oder über den Kurs des Färberwaids, der durch das Indigo aus Amerika verdrängt wurde, die mit pikanten Anspielungen
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