Angélique - Hochzeit wider Willen
Idee, dass er mit dieser infernalischen Intuition, die man bei ihm spürte, vielleicht die Anwesenheit der naseweisen Person erraten hatte, die nur ein paar Schritte entfernt lauschte.
Das würde den Handkuss erklären, der den Hexenbann gebrochen hatte. Dieser Gedanke heiterte sie auf, und sie hörte auf, sich ihre Flucht, ihren Rückzug vorzuhalten.
Sie warf sich auf ihr Bett und sank mit dem Entschluss in den Schlaf, diese Augenblicke, die sie den stillen, unbekannten Etagen »ihres« Palasts geraubt hatte, zu vergessen.
Sie hatte einen verworrenen Traum.
Darin war sie in einem Bergfried gefangen, doch dieser war nicht düster, sondern von genau dem Licht erfüllt, das über die Treppe, die in die erste Etage führte, gefallen war. Menschen, deren Züge sie nicht erkennen konnte, kamen und gingen, und wohlriechende Düfte umwehten sie.
Sie erwachte im ersten Morgenlicht, als aus dem Park die Nachtkühle aufstieg.
Ihr fiel wieder ein, dass während ihrer gestrigen Erkundung ihr Blick auf weitere Stufen aus hellem Marmor gefallen war, die sich ins Halbdunkel hinein fortsetzten. Zweifellos führten sie nach »oben«, an den Ort, an dem Galileos Geist schwebte.
Ah ja... Die Kammer mit dem goldenen Schlüssel.
Bei den vielen Worten, die ihr durch den Kopf schwirrten, fragte sie sich, ob sie diese letzten nicht vielleicht geträumt hatte.
Kapitel 5
S ehr oft, fast täglich, kam das Gespräch auf die Kreuzzüge gegen die Albigenser und die Ketzerei, die, wie es der Bischof ausdrückte, im zwölften Jahrhundert die südlichen Provinzen besudelt hatte.
Angélique hatte einige Schwierigkeiten, diese bitteren geschichtlichen Erinnerungen mit dem in Übereinstimmung zu bringen, was sie aus den kleinen blauen Büchlein, aus ihren lateinischen Lektionen oder dem im Refektorium auf Französisch gehörten Geschichten wusste.
Von den Kreuzrittern kannte sie nur ihren Vorfahren Gottfried von Bouillon und seine Gefährten, die Jerusalem und das Grab Christi von den Ungläubigen, den Mohamedanern, zurückerobert hatten. Ketzer kannte sie nur aus ihrer eigenen Erfahrung, nämlich ihre hugenottischen Nachbarn, die mehr schlecht als recht in ihren durch das Edikt von Nantes geschützten Dörfern lebten, aufsässig und unheimlich. Nach deren Kindern hatten Nicolas und sie, um sie zu erschrecken, Rosenkränze geworfen, Symbole der Jungfrau Maria, die angeblich für die Reformierten weder eine Heilige noch Jungfrau war, obschon sie von ihnen als Mutter Christi anerkannt wurde... Und diese Kinder hatten Angélique in einer denkwürdigen Nacht derart an den Haaren gezogen, dass sie ihr fast den Kopf abgerissen hätten. Wie auch immer, dieser lange zurückliegende Kreuzzug gegen die Albigenser im Süden Frankreichs war ein heikles Thema, bei dem innerhalb von Sekunden
der Zorn der Gesprächspartner aufflammen konnte, als hätte man Öl ins Feuer gegossen.
Sie gab sich die allergrößte Mühe, den Grundgedanken des Konflikts zu erfassen, denn sie wollte ihre Gäste auf keinen Fall durch ihre Gleichgültigkeit und ihr Unwissen vor den Kopf stoßen. Das wäre zu verletzend gewesen.
Die Priester der häretischen Religion nannten sich Perfecti oder auch Gute Männer. Sie waren stets zu zweit unterwegs, gingen schwarz gekleidet und führten ein asketisches Leben. An Nahrung nahmen sie nur Hülsenfrüchte, ein wenig Brot und ein wenig Fisch zu sich, kein Fleisch oder sonst ein Erzeugnis tierischer Herkunft; und sie arbeiteten, um sich ihr bescheidenes Leben zu verdienen. Natürlich war ihnen jegliche Fleischeslust verboten, da ihrer Meinung nach die Materie eine Schöpfung des Teufels war. Für ein so asketisches Leben wurden sie durch eine mystische Kraft belohnt, die es ihnen erlaubte, Menschen, die sie in den letzten Momenten ihres Lebens segneten, durch Handauflegen einen guten Tod zu ermöglichen; was heißt, sie würden nicht im sündigen Fleisch wiedergeboren werden.
Das barbarische Gesicht der Soldaten, die in weniger als einem Tag die gesamte Bevölkerung von Béziers getötet hatten, ehe sie die Stadt in Brand steckten, symbolisierten die Kreuzritter und ihr Anführer Simon de Montfort, die auf Weisung der römischen Päpste aus dem Norden gekommen waren, um diese anscheinend harmlosen Ketzer in den südlichen Provinzen auszurotten. Doch Béziers war nur der Anfang gewesen. Die Auseinandersetzungen sollten noch ein halbes Jahrhundert währen. Auf beiden Seiten kam es zu so vielen Ausschreitungen, dass
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