Angélique - Hochzeit wider Willen
öffentlichen Ausbruch hinreißen lassen und ihr einige unangenehme Worte gesagt. Da war es besser, dass sie sich zurückgezogen hatte, um in Ruhe wieder zu sich zu kommen. Die Stille in den Gärten, die das Lustschlösschen an der Garonne umgaben, würde das beste Heilmittel sein.
Als es dunkel geworden war, blieb Angélique noch lange auf der Terrasse ihres Zimmers sitzen. Nach und nach besänftigte die ruhige Flusslandschaft ihre Nerven.
An diesem Abend wäre sie nicht in der Lage gewesen, in Toulouse zu bleiben, in der Kutsche über die Feria spazieren zu fahren, um den Sängern zu lauschen, die an diesem Abend dort auftraten, und dann anschließend den Vorsitz bei dem großen Bankett zu führen, das der Graf de Peyrac im Schein venezianischer Laternen in seinem Park gab. Sie hatte fast damit gerechnet, dass ihr Mann sie zwingen würde umzukehren, um ihre Gäste zu empfangen; doch kein Bote war aus der Stadt gekommen, um die Flüchtige zurückzuholen. Da hatte sie ihren Beweis: Er brauchte sie nicht. Niemand hier brauchte sie. Sie war immer noch eine Fremde.
In ihrer Einsamkeit versuchte Angélique, wieder zu sich zu kommen und sich über ihre Gefühle klar zu werden.
Ihr Vater hatte sie unzählige Male ermahnt, eines Tages werde sie noch bitter für ihre Neugier büßen. Doch Angélique bereute nichts und hegte keinerlei Skrupel bezüglich ihrer Handlungsweise. War es ihre Schuld, dass sie ständig über Dinge stolperte, die nicht wirklich für sie bestimmt waren? Dass ihr Schritt so leicht war, dass die Bauern auf Monteloup
behauptet hatten, sie besäße die Gabe, sich unsichtbar zu machen?
Auf jeden Fall zog sie es vor, gewarnt zu sein.
Aber wovor? Sie musste zugestehen, dass Joffrey sie bei diesem Gespräch nicht hintergangen hatte. Warum nur fühlte sie sich dennoch zu Tränen gedemütigt? Sie war nicht so naiv, zu glauben, dass der Graf de Peyrac sich nicht anderweitig suchte, was sie ihm verweigerte. Im Übrigen war in Toulouse der eheliche Betrug an der Tagesordnung; mit dem einzigen Unterschied zwischen Herren und Damen, dass man die Ersteren verlachte und Letztere bedauerte. Doch ganz wie in Paris oder bei Hofe gehörte es nicht zum guten Ton, eine exemplarische Treue zur Schau zu stellen. Das wäre zu kleingeistig gewesen.
Angélique lehnte den Kopf an die Balustrade. Ich werde wohl niemals die Liebe kennenlernen, dachte sie melancholisch.
Als sie sich endlich matt und müßig in ihr Zimmer zurückziehen wollte, waren unter ihren Fenstern die Klänge einer Gitarre zu hören. Sie beugte sich hinaus, konnte zwischen den dunklen Schatten der Bäume jedoch niemanden erkennen.
Sollte Henrico zu mir herausgekommen sein? Der Kleine ist sehr freundlich und möchte mich zerstreuen …
Doch dann begann der unsichtbare Musikant zu singen, und seine tiefe, männliche Stimme gehörte eindeutig nicht dem Pagen.
Schon die ersten Takte berührten die junge Frau tief im Herzen. Diese einmal samtige und dann wieder volltönende Klangfarbe, diese perfekt modulierten Töne waren von einer seltenen Vollkommenheit, wie sie von den galanten Amateuren, von denen es in Toulouse bei Nacht wimmelte, nicht immer erreicht wurde. Im Languedoc waren schöne Stimmen nicht selten;
diesem Menschenschlag, der gern lachte und schwadronierte, perlten auch Melodien leicht von den Lippen. Doch dies war ein wahrer Künstler. Er besaß einen außerordentlich kraftvollen Atem. Es war, als erfülle seine Stimme den ganzen Park aus und bringe sogar noch den Mond zum Beben. Er sang ein traditionelles Klagelied in der alten Langue d’oc, jener Sprache, deren Eleganz der Graf de Peyrac so oft rühmte. Er betonte jede Nuance. Angélique verstand nicht den ganzen Text, doch ein Wort kehrte ständig wieder: Amore! Amore!
Die Liebe!
Da wusste sie es ohne jeden Zweifel. Das ist er, der letzte Troubadour, die »Goldene Stimme des Königreichs«!
Noch nie hatte sie einen Menschen so singen hören. Oft schon hatte jemand zu ihr gesagt: »Ach, wenn Ihr nur die ›Goldene Stimme des Königreichs‹ hören könntet! Doch er singt nicht mehr. Wann wird er wohl wieder singen?«
Und man warf ihr einen boshaften Blick zu und bedauerte sie, weil sie die Berühmtheit dieser Provinz nicht kannte.
»Ihn ein Mal hören und sterben!«, pflegte Madame Aubertré zu schwärmen, die Frau des Obersten Magistrats der Stadt, die schon weit in den Fünfzigern war.
Er ist es! Er ist es, sagte Angélique sich ein ums andere Mal. Wie kann es
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