Angélique - In den Gassen von Paris
nicht länger im Weg zu stehen?
Nein, sagte sich Angélique. Das Vergnügen ist eine Sache und das Geschäft eine andere. Ein schöner, gemeinsam verbrachter Tag kann meinen Zukunftsplänen wohl kaum schaden. Um die Gewissensbisse zu ersticken, die ihre unvermeidliche Niederlage ihr schon im Voraus bereitete, redete sie sich ein, dass dies im Interesse ihrer Geschäfte praktisch notwendig sei. Im Übrigen würde wahrscheinlich gar nichts geschehen. Hatte Audiger sich bisher nicht immer vollkommen korrekt verhalten?
Vor ihrem Spiegel strich sie mit dem Finger über ihre langen, schmalen Augenbrauen. War sie immer noch schön? Andere behaupteten es. Aber hatte nicht die Hitze am Herdfeuer ihre von Natur aus dunkle Haut noch mehr gebräunt?
Ich bin wieder kräftig geworden, dachte sie, und das steht mir nicht schlecht. Außerdem mögen wahrscheinlich Männer dieser Art etwas fülligere Frauen.
Sie schämte sich für die von der Küchenarbeit schwieligen und geschwärzten Hände, daher ging sie auf den Pont-Neuf und kaufte beim Großen Matthieu einen Topf Salbe, um sie zu bleichen.
Dazu erstand sie noch einen Spitzenkragen aus der Normandie, den sie über dem Ausschnitt ihres einfachen Kleids aus blaugrünem Tuch tragen wollte. So würde sie wie eine Kleinbürgerin wirken und nicht wie ein Dienstmädchen oder eine Händlerin. Sie vervollständigte ihre Aufmachung noch durch den – leichtsinnigen! – Kauf eines Paars Handschuhe und eines Fächers.
Ihr Haar bereitete ihr Sorgen. Seit es nachwuchs, war es krauser und heller geworden, gewann aber nur langsam an Länge. Bedauernd dachte sie an das schwere, seidige Vlies, das sie früher über die Schultern hatte werfen können.
Am Morgen des großen Tages verbarg sie ihre Haare unter einem schönen, dunkelblauen Seidentuch, das einmal Meisterin Bourjus gehört hatte. Am Ausschnitt ihres Mieders trug sie eine Kamee aus Karneol und am Gürtel ein mit Perlen besticktes Täschchen, das ebenfalls aus der Hinterlassenschaft der armen Frau stammte.
Angélique wartete unter dem Torbogen. Der Tag versprach, schön zu werden. Zwischen den Hausdächern ließ sich ein blauer Himmel sehen.
Als Audigers Kutsche auftauchte, lief sie ihm entgegen; ungeduldig wie eine Pensionatsschülerin, die Ausgang hat.
Der Haushofmeister wirkte geradezu strahlend. Er trug eine gelbe, mit feuerroten Bändern geschmückte Rhingrave-Hose
und unter seiner gelbbraunen, mit kleinen, orangefarbenen Litzen geschmückten Weste ein gefälteltes Hemd aus feinstem Leinen. Die Spitze an seinen Hosenmanschetten, seinen Handgelenken und seiner Halsbinde war zart wie Spinnengewebe.
Bewundernd fuhr Angélique mit der Hand darüber.
»Das sind irische Spitzen«, bemerkte der junge Mann, »haben mich ein kleines Vermögen gekostet.«
Ein wenig herablassend hob der den bescheidenen Kragen seiner Begleiterin an.
»Irgendwann sollt Ihr genauso schöne Spitzen bekommen, meine Teure. Mir scheint, dass Ihr in der Lage seid, mit Anmut schöne Kleider zu tragen. Ich kann mir Euch sehr gut in Seide oder selbst in Atlas vorstellen.«
Und sogar in Goldbrokat, dachte Angélique und biss die Zähne zusammen.
Doch kurz darauf, als die Kutsche an der Seine entlangfuhr, fand sie ihre gute Laune wieder.
Zwischen den Schafherden auf der Grenelle-Ebene reckte die Mühle von Javel ihre gewaltigen Fledermausflügel in den Himmel, deren Klappern die Küsse und Liebesschwüre der Pärchen untermalte. Zur Mühle von Javel fuhr man in aller Heimlichkeit. Das große Hauptgebäude war zu einer Herberge ausgebaut, in der man sich einmieten konnte, und der Besitzer war diskret.
»Das wäre ja ein schöner Jammer, wenn man ein solches Haus betriebe und nicht schweigen könnte«, pflegte er zu erklären. »Da würden wir die ganze Stadt in Aufruhr versetzen.«
Eselchen, die mit dicken Säcken beladen waren, trotteten vorüber. Ein Duft nach Mehl und warmem Getreide, nach Fischsuppe und Flusskrebsen hing in der Luft.
Entzückt atmete Angélique die frische Luft ein. Am azurblauen Himmel zogen ein paar weiße Wolken dahin. Angélique lächelte ihnen zu und fand, dass sie wie steifgeschlagener Eischnee aussahen. Ab und zu warf sie einen Blick auf Audigers Lippen und kostete den kleinen, köstlichen Schauer aus, der sie daraufhin überlief.
Wollte er denn gar nicht versuchen, sie zu küssen? In seinen schönen Kleidern wirkte er ein wenig steif und schien ganz darin aufzugehen, gemeinsam mit dem Herbergswirt, der
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