Angélique - In den Gassen von Paris
verfolgen, dachte Angélique, während sie durch die Nacht eilte.
Das Bild stand ihr glasklar vor Augen. Sie sah, wie die beiden Edelleute im hellen Sonnenschein und mit den ausholenden Gesten von Hausfrauen die Decken falteten, an denen die Quasten aus Goldfäden glitzerten und die Glöckchen klingelten, und lauschte dem Klatsch der Höflinge, die sich über ein gotteslästerliches Komplott unterhielten.
Endlich überwältigte sie die Müdigkeit. Als es hell wurde, erkannte sie die Umgebung der Notre-Dame-Kathedrale.
Über welche Brücke war sie auf die Île de la Cité gelangt? Nicht so wichtig. Sie lief darauf zu, um vor dem Licht zu flüchten, und stieß beinahe gegen die Säulen eines Eingangs. Als sie aufsah, erblickte sie über sich wie eine Felswand die Fassade, die Türme von Notre-Dame und die Lichter, die eine schüchterne Sonne auf den Statuen, den vorspringenden Wasserspeiern und auf all den steinernen Blüten anzündete.
Sie sah sich selbst als winzige Silhouette auf dem Vorplatz von Notre-Dame, zusammen mit anderen Gestalten, die, frierend und in sich gekehrt und noch vom Schlaf umfangen, zur ersten Messe kamen. Angélique hörte, wie die Türen der kleinen Pforte auf und zu klappten und die Neuankömmlinge einließen.
Vor Müdigkeit taumelte sie beinahe.
Ihre Hände fuhren tastend und zärtlich über das feingeschwungene Schmiedeeisen eines Portals, ein wunderschönes Kunstwerk, von dem es hieß, Satan habe es verfertigt, nachdem er dem Handwerker, der daran gescheitert war, dafür die Seele abgekauft hatte.
An diesem Tag hatte die Sonne beschlossen, triumphierend den Sieg über die Wolken davonzutragen. Helles Licht fiel
über den Vorplatz, sodass sie blinzelte und ebenfalls eintrat, um das Halbdunkel zu suchen. Zur Rechten fand ihre Hand das Weihwasserbecken. Es war eine dieser gewaltigen Muscheln aus tropischen Meeren, deren schön geschwungene Form und das mit Perlmutt überzogene Innere der Stolz der Kirchen waren, die in der Lage waren, sie zu erwerben, um darin das Weihwasser zu präsentieren, mit dem sich die Gläubigen beim Eintreten läuterten.
Angéliques Finger tauchten in das kühle Wasser, und sie bekreuzigte sich ausführlich und sorgsam, während sie weiter in das Innere schritt. Die unendliche Weite der Kuppeln von Notre-Dame wirkte beeindruckend, obwohl sie noch im Dunkel lagen.
Der Raum war von hallendem Stimmengemurmel erfüllt. Gesänge wurden geprobt, brachen ab und begannen von Neuem, und hier und da blitzten Lichter auf, wo die Messe vorbereitet wurde. In den Seitenkapellen des Hochaltars zündeten die Messdiener Kerzen an.
Angélique huschte nach rechts und entdeckte hinter einem offenen Gitter einen Nebenraum, um den herum sich eine Steinbank zog. Sie ging zur anderen Seite des Raums und ließ sich, am Ende ihrer Kräfte, darauf sinken. Es war lange her, dass sie auf diese Weise quer durch Paris gelaufen war. Aufrecht gehalten von einer Anspannung, die an Furcht grenzte, und eingenommen von den Erinnerungen an Saint-Jean-de-Luz, konnte sie nicht einmal ermessen, wie viele Straßen sie durchlaufen hatte, getragen von einer nervösen Raserei, die sich jetzt, als sie sich entspannte, in Schwäche verwandelte.
Ihre feinen Schuhe befanden sich in einem traurigen Zustand. Sie hatte sie mehrfach verloren, und nun hingen sie nur noch an der Spitze ihrer wundgelaufenen Füße.
Ihre Strümpfe hatten sich vollständig aufgelöst.
Angélique gestand sich ein wenig Zeit zu, um zu Atem zu kommen und neue Kraft zu sammeln.
Jetzt wusste sie, wohin ihre Panik sie unbewusst getrieben hatte: zum Justizpalast. Er befand sich nicht weit von hier auf der anderen Seite der Rue de la Barillerie, die die Île de la Cité in zwei Pole teilte. Auf der einen Seite befand sich Notre-Dame und auf der anderen der alte königliche Palast, der jetzt der Sitz des Parlaments und der Ort war, an dem die Gesetze angewandt wurden.
Sie kannte sich aus … Auf dieser Insel war sie zu Hause.
Die Dunkelheit wandelte sich in Zwielicht.
Ein Mann trat auf die Schwelle des Nebenraums und hielt inne, als er die sitzende weibliche Gestalt erkannte. Angélique hatte ihre alten Reflexe wiedergefunden, die ihr zur Vorsicht rieten, und sagte kein Wort.
Der Mann warf einen Blick in die Runde und setzte sich dann neben sie.
»Wo hast du es hingelegt?«, fragte er.
Sie zuckte zusammen. Auf ihrem Podium in der Roten Maske war sie es nicht mehr gewöhnt, dass man sie so ohne Umstände
Weitere Kostenlose Bücher