Angélique - In den Gassen von Paris
entsetzlicher Unglücke, darunter den Tod ihres Mannes, herbeigeführt hatte. Ihre Lippen weigerten sich, von den Foltern und seiner grausamen Hinrichtung zu sprechen, die er erlitten hatte, und da sie keinen richtigen Schluss fand, verstummte sie einfach so jäh, wie sie zu sprechen begonnen hatte.
Sie schaute ihrem Gegenüber ins Gesicht und sah, dass seine Miene weder ernst noch sorgenvoll wirkte, sondern eine unbestimmte Ironie ausdrückte.
Er schwieg lange, anscheinend, um ihr Zeit zu lassen, wieder zur Besinnung zu kommen. Dann sprach er und zählte dabei wie der Magister an den Fingern ab.
Erstens, woher und vom wem wisse sie, dass dieses besagte Individuum ein Dämon war?
Zweitens, an welchem Ort und unter welchen Umständen hätten sich diese Ereignisse abgespielt?
Angélique wollte gerade antworten, dass das in Saint-Jean-de-Luz gewesen sei, als sie bei der Hochzeit des Königs zu Gast gewesen sei, blieb jedoch stumm, während er sie immer noch beobachtete.
Das Schweigen zog sich in die Länge. Schließlich stellte er eine dritte Frage, die ihr endgültig die Sprache verschlug.
»Habt Ihr ein Porträt Eurer Mutter?«
Angélique musste sich erhebliche Mühe geben, um diese Frage zu bedenken und ihm eine höfliche Antwort zu geben.
Ja, sie meinte, einmal eines besessen zu haben, und sicherlich habe sie es bei ihrer Heirat mitgenommen. Sie wisse nicht, was daraus geworden sei.
Die Haltung und die Miene des Magiers drückten die Resignation eines Lehrers aus, der gar nicht mit einer richtigen Antwort rechnet. Unvermittelt stand er auf und hielt einen der Laufburschen des Justizpalasts auf, der vorübereilte. Nachdem er ihm verschiedene Erklärungen gegeben hatte, versah er ihn mit einem Obolus, der großzügig gewesen sein musste, denn der Knabe verzog zufrieden das Gesicht und rannte eifrig los. Maître Ludovicus nahm erneut gegenüber Angélique Platz.
»Geht nach Hause«, sagte er. »Und kommt erst zwischen drei und vier Uhr am Nachmittag wieder.«
Angélique fuhr zusammen und widersprach. Sie hatte keine Lust, nach Hause zu gehen, sondern wünschte sich eine Antwort, die ihre Sorgen vertrieb. Lieber wollte sie im Justizpalast bleiben und warten, bis er bereit war, sie erneut zu empfangen.
»Schön, dann bleibt«, meinte er, immer noch in dem sarkastischen Ton. »Schließlich ist jeder Pariser im Justizpalast zu Hause. Denn sicherer als die Taufe ist, dass jeder damit rechnen muss, eines Tages hier sein verwirktes oder bedrohtes Leben zu beklagen …«
Als sie anschließend nach einem Ort suchte, um die Wartezeit zu verbringen, fühlte sie sich von der gewaltigen Treppe angezogen, die auf die Cour de Mai hinunterführte. Auf diesem sehr weiträumigen Platz wurde jedes Jahr unter traditionellen Zerstreuungen der Maibaum aufgestellt, der den Frühling ankündigte. Hinter der Umfriedungsmauer sah man die Dächer und Kirchtürme und hörte den Lärm der Stadt.
Angélique tat es einigen anderen Menschen nach, die wahrscheinlich auf eine Gerichtsverhandlung warteten, und setzte sich auf die Stufen. Zwei oder drei saßen zusammen und teilten sich diskret Wurst, Brot und einen Krug mit einem Getränk.
Am Fuß dieser Treppe hatte Angélique einst eine Frau gesehen, die ihre Reue herausschrie. »Ich habe ihn verraten! Ich war es!«
Doch die Vision verflog rasch wieder. Heute schien die Sonne, und auf dem Stein war es beinahe heiß. Angélique rollte ihren Umhang zu einem Kopfkissen zusammen, schloss die Augen und ließ sich vom Schlaf überwältigen. Doch da strichen zärtliche Hände über ihre Füße.
Sie schlug die Augen auf und erblickte einen jungen Mann, der vor ihr kniete und Maß nahm.
»Ich bin Schusterlehrling«, erklärte er ihr. »Eure Schuhe sind ruiniert. Ich muss meinen Meister in der Galerie Marchande unbedingt überreden, Euch ein neues Paar zu fertigen. Und wir werden sie mit echten Perlen schmücken, nicht mit Glasperlen, wie Ihr sie da habt.«
Auf ihrer anderen Seite stand ein junger Mann und schlug seine Gitarre an.
»Auf den Stufen des Palasts
sitzt ein wunderschönes Mädchen.
La, la,
sitzt ein wunderschönes Mädchen «, sang er.
Nach Monaten, die ihr plötzlich wie Jahre vorkamen und die sie damit verbracht hatte, die Zudringlichkeiten von Kavalieren abzuweisen, die selten anziehend, immer halb betrunken und oft schlicht unpassend waren – gar nicht
zu reden von Audigers beharrlicher Leidenschaft –, fühlte sich Angélique mit einem Mal
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