Angélique - In den Gassen von Paris
strahlend.
So verharrte er, bis sie sich, wie magnetisch angezogen, ihm entgegenhob. Da ließ er sich halb auf sie sinken und küsste sie.
Dieser Kuss währte lange, so lange wie zehn Küsse, die man unterbricht und langsam wieder aufnimmt.
Angéliques missbrauchte Sinne empfanden die Zärtlichkeit wie eine Wiedergeburt. Alte Empfindungen lebten erneut auf; so völlig anders als die brutale Lust, die ihr der einstige Knecht – wenn auch mit großer Leidenschaft – bereitet hatte und an die sie gewöhnt war.
Vorhin war ich noch sehr müde, dachte sie, doch jetzt bin ich es nicht mehr. Mein Körper kommt mir nicht mehr so traurig und entwürdigt vor. Dann bin ich also noch nicht ganz tot …
Sie reckte sich ein wenig im Heu und stellte beglückt fest, dass sich in ihrem Leib ein zartes Begehren regte, das bald überwältigend werden würde.
Der Mann hatte sich aufgerichtet, stützte sich auf einen Ellbogen und sah sie mit leisem Lächeln an.
Sie war nicht ungeduldig und spürte der Wärme nach, die sich in ihrem Inneren ausbreitete. Gleich würde er sie wieder in die Arme nehmen. Sie hatten alle Zeit der Welt.
»Merkwürdig«, murmelte er, »du bist so kultiviert wie eine große Dame. Wenn man deine zerlumpten Röcke sieht, möchte man es nicht glauben.«
Sie lachte leise auf.
»Tatsächlich? Ihr frequentiert also die großen Damen, Herr Paragrafenquäler?«
»Manchmal.«
Mit einer getrockneten Blume kitzelte er ihre Nasenspitze und fuhr dann fort.
»Wenn mir der Magen zu sehr knurrt, verdinge ich mich in den Schwitzbädern von Maître George in der Rue Saint-Nicolas. Dorthin kommen nämlich die großen Damen und suchen ein wenig Aufregung und Abwechslung von ihren mondänen Liebschaften. Gewiss, ich bin nicht so ein Klotz wie Beau-Garçon, und die Dienste meines armen, unterernährten Gerippes werden nicht so gut bezahlt wie die eines kräftigen, behaarten Hafenarbeiters, der nach Zwiebeln und billigem Wein stinkt. Aber ich habe andere Asse im Ärmel. Ja, meine Teure. Niemand in Paris verfügt über eine so auserlesene Sammlung obszöner
Geschichten wie ich. Meine Partnerinnen mögen so etwas gern, um in Schwung zu kommen. Ich bringe die schönen Dirnen zum Lachen. Die Frauen wollen vor allem Spaß. Soll ich dir die Geschichte vom Hammer und vom Amboss erzählen?«
»O nein!«, erwiderte Angélique lebhaft, »bitte nicht, ich mag solche Zoten nicht.«
Er wirkte gerührt.
»Kleines Herzchen! Du bist ein komisches Mädchen! Seltsam! Ich bin schon feinen Damen begegnet, die Dirnen waren, aber noch nie einer Dirne, die sich wie eine feine Dame beträgt. Du bist die Erste … Und dabei bist du wunderschön … Sag mal, hörst du das Glockenspiel der Samaritaine auf dem Pont-Neuf? Bald ist es zwölf. Was hältst du davon, wenn wir auf den Pont-Neuf gehen und uns ein paar Äpfel zum Mittagessen stehlen? Und auch einen Blumenstrauß, in den du dein kleines Näschen stecken kannst? Wir lauschen dem Großen Matthieu, wie er seine Quacksalbereien anpreist, und schauen dem Leierkastenmann zu, der sein Murmeltier tanzen lässt. Und zugleich drehen wir dem Polizeispitzel, der mich aufhängen lassen will, eine lange Nase.«
»Warum will man Euch aufhängen?«
»Aber … weißt du nicht, dass mich jedermann aufhängen will?«, gab er erstaunt zurück.
Er ist wirklich verrückt, sagte sich Angélique, aber komisch.
Sie rekelte sich. Am liebsten hätte es sie gehabt, wenn er sie weiter liebkost hätte. Doch er schien plötzlich etwas anderes im Sinn zu haben.
»Jetzt erinnere ich mich«, meinte er plötzlich, »ich habe dich schon einmal auf dem Pont-Neuf gesehen. Gehörst du
nicht zu der Bande von Calembredaine, dem illustren Haderlump?«
»Ja, das stimmt, ich gehöre zu Calembredaine.«
Er fuhr zurück und zog eine komisch-entsetzte Miene.
»Autsch! Wo bin ich Schürzenjäger jetzt wieder hineingeraten? Du bist doch nicht diese Marquise der Engel, über die unser Haderlump so eifersüchtig wacht?«
»Ja, aber …«
»Da sieht man wieder einmal die Leichtfertigkeit der Frauen!«, rief er dramatisch aus. »Konntest du mir das nicht eher sagen, Unglückliche? Willst du unbedingt dieses traurige, wertlose Blut vergießen, das durch meine Adern fließt? Ach, o weh! Calembredaine! Das ist wieder einmal mein Pech! Da finde ich die Frau meines Lebens, und dann muss sie Calembredaine gehören! Aber was soll’s! Die anbetungswürdigste aller Geliebten ist ohnehin das Leben selbst. Lebewohl, meine
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