Angélique - In den Gassen von Paris
ins Wasser und kletterte an Bord eines Kahns. Dann wühlte sie sich genüsslich ins Heu. Unter der Plane war der Geruch noch berauschender; feucht, warm und gewitterschwül wie ein Sommertag. Woher wohl dieses frühe Heu stammte? Vermutlich aus einem stillen, reichen, fruchtbaren und sonnenverwöhnten Landstrich. Dieses Heu erinnerte an trockene, vom Wind durchstreifte Landschaften, an leuchtende Himmel und auch an geheimnisvolle, abgeschiedene Täler, die die Wärme bewahren und damit ihre Erde nähren.
Angélique schloss die Augen und streckte sich aus. Sie versank im Heu und verlor sich darin. Auf einer Wolke intensiver Düfte schwebte sie dahin und spürte ihren erschöpften Körper nicht mehr. Monteloup umschloss sie und zog sie an seine Brust. Die Luft schmeckte wieder nach Blumen und Tau. Der Wind liebkoste sie. Langsam trieb sie dahin, auf die Sonne zu. Sie ließ die Nacht und seine Schrecken hinter sich. Die Sonne streichelte sie. Es war lange her, dass sie eine solche Liebkosung gespürt hatte.
Sie war die Gefangene des ungezähmten Calembredaine gewesen; die Gefährtin des Wolfs, der ihr manchmal während seiner kurzen Umarmungen einen primitiven Lustschrei entlockt hatte; das Stöhnen eines Tiers, dem man Gewalt antut. Aber ihr Körper hatte ganz vergessen, wie sanft eine echte Liebkosung ist.
Sie schwebte auf Monteloup zu und entdeckte im Heu den Geruch nach Erdbeeren. Das Wasser des Bachs plätscherte kühl und zärtlich über ihre glühenden Wangen und ihre ausgedörrten Lippen.
»Mehr«, seufzte sie und öffnete den Mund.
Im Schlaf rannen Tränen über ihr Gesicht und versickerten in ihrem Haar. Keine Schmerzenstränen, sondern Tränen, wie man sie vor übergroßem Glück vergießt.
Sie rekelte sich und gab sich den neu entdeckten Genüssen hin. Gewiegt von den leise flüsternden Stimmen der Wälder und Felder, ließ sie sich treiben.
»Weine nicht…«, wisperten sie ihr ins Ohr. »Weine nicht, meine Kleine … Es ist nichts … Das Schlimme ist vorbei … Weine nicht mehr, mein armes Mädchen.«
Angélique schlug die Augen auf. In dem Halbdunkel, das unter der Plane herrschte, erblickte sie eine Gestalt, die neben ihr im Heu lag. Zwei fröhliche Augen sahen sie an.
»Wer seid Ihr?«, stammelte sie.
Der Unbekannte legte ihr den Finger auf die Lippen.
»Ich bin der Wind. Der Wind aus einem kleinen Landstrich im Berry. Als das Heu geschnitten wurde, hat man mich einfach mit verladen … Schau, ich bin wirklich und wahrhaftig ein Vagabund, der nichts besitzt.«
Sogleich richtete er sich in eine kniende Haltung auf und stülpte seine Taschen nach außen.
»Keine Kupfermünze, kein Sol! Vollständig blank. Man hat mich zusammen mit dem Heu auf den Kahn geschüttet, und nun bin ich in Paris. Merkwürdige Geschichte für einen kleinen Wind vom Lande.«
»Aber …«, wandte Angélique ein und versuchte, ihre Gedanken zu sammeln.
Der junge Mann trug einen abgeschabten schwarzen Anzug, der an einigen Stellen sogar Löcher aufwies. Um seinen Hals lag ein zerschlissener Leinenkragen, und sein tailliertes Wams betonte seine Magerkeit.
Aber er hatte ein interessantes, beinahe schönes Gesicht, obwohl er die blasse Hautfarbe eines Hungerleiders aufwies.
Sein breiter, schmallippiger Mund schien dazu geschaffen, ohne Unterlass über alles und nichts zu lachen. Er machte Grimassen, lachte und verzog ständig das Gesicht. Zu dieser eigentümlichen Physiognomie gesellte sich ein flachsblonder Haarschopf, der ihm in die Augen fiel und ihm einen naiv-bäuerlichen Ausdruck verlieh, den jedoch sein listiger Blick Lügen strafte.
Während Angélique ihn musterte, plauderte er ohne Punkt und Komma weiter.
»Was soll ein kleiner Wind wie ich in Paris anfangen? Ich, der ich daran gewöhnt bin, um die Hecken zu wehen, werde den Damen unter die Röcke fahren und mir eine Backpfeife einfangen … Ich werde den Pfaffen die Hüte wegwehen und dafür exkommuniziert werden. Man wird mich in die Türme von Notre-Dame sperren, und ich werde die Glocken verkehrt herum läuten … Was für ein Skandal!«
»Aber«, sagte Angélique noch einmal und versuchte aufzustehen.
Sofort drückte er sie wieder hinunter.
»Nicht bewegen … Pssst!«
Er ist sicher Student und ein bisschen übergeschnappt, dachte sie.
Erneut streckte er sich aus, hob die Hand und liebkoste ihre Wange.
»Weine nicht mehr«, murmelte er.
»Ich weine doch gar nicht«, erwiderte Angélique. Doch dann bemerkte sie, dass ihr Gesicht
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