Angélique - In den Gassen von Paris
Spaziergang zurückkehren würden; Cantor auf Barbes Arm und Florimond, der fröhlich neben ihr hertrippelte. Und nun waren auch die beiden für immer aus ihrer Welt verschwunden!
Ihr wurde schwindlig, und sie musste sich an der Wand abstützen.
Ein Flickschuster, der dabei war, seinen Bretterstand für die Nacht abzubauen, hatte offenbar das Gespräch mit angehört.
»Warum wolltest du Maître Fallot denn so unbedingt sehen?«, fragte er sie. »Wegen eines Prozesses …?«
»Nein«, erwiderte Angélique und versuchte, sich zusammenzunehmen. »Eigentlich wollte ich … ein junges Mädchen besuchen, das in seinem Dienst stand… Barbe heißt sie. Weiß denn niemand die Adresse des Prokurators in seinem neuen Viertel?«
»Über Maître Fallot und seine Familie kann ich dir nichts sagen. Aber vielleicht weiß ich, wo sich Barbe aufhält. Sie ist nicht mehr bei ihnen. Als ich sie zum letzten Mal gesehen habe, arbeitete sie in einer Bratküche in der Rue de la Vallée-de-Misère, im ›Kecken Hahn‹.«
»Oh! Dankeschön.«
Schon lief Angélique durch die mittlerweile dunklen Straßen. Die Rue de la Vallée-de-Misère hinter dem Châtelet-Gefängnis war die Domäne der Bratküchen. Tag und Nacht hörte man das Kreischen des Federviehs, dem die Gurgel umgedreht wurde, und das Knarren der Spieße, die sich vor kräftigen Feuern drehten.
Die Bratküche zum Kecken Hahn lag ganz am Ende der Straße und war kein besonders einladendes Lokal. Im Gegenteil,
bei ihrem Anblick hätte man meinen können, die Fastenzeit hätte bereits begonnen.
Angélique trat in einen Gastraum, der von zwei oder drei Kerzen notdürftig erhellt wurde. An einem Tisch saß vor einer Weinkanne ein dicker Mann mit einer schmutzigen Kochmütze, der mehr mit dem Trinken als dem Bedienen seiner Gäste beschäftigt zu sein schien. Diese waren allerdings auch nicht besonders zahlreich: Handwerker vor allem und ein ärmlich wirkender Reisender. Schleppenden Schrittes brachte ein junger Bursche, der eine schmutzige Schürze trug, ihnen die Speisen, deren Zusammensetzung man kaum erkennen konnte.
Angélique sprach den beleibten Koch an.
»Habt Ihr hier eine Magd namens Barbe?«
Nachlässig wies der Mann mit dem Daumen hinter sich in die Küche.
Angélique entdeckte Barbe, die vor dem Feuer saß und ein Huhn rupfte.
»Barbe!«
Die junge Frau stand auf und wischte sich mit dem Unterarm die schweißbedeckte Stirn ab.
»Was willst du, Mädchen?«, fragte sie mit müder Stimme.
»Barbe«, sagte Angélique noch einmal.
Die Magd riss die Augen auf. Dann stieß sie plötzlich einen erstickten Schrei aus.
»Oh, Madame! Verzeiht mir, Madame …«
»Du darfst mich nicht mehr Madame nennen«, fiel Angélique ihr ins Wort.
Sie ließ sich auf die steinerne Kamineinfassung sinken. Die Hitze war erstickend.
»Wo sind meine Kinder, Barbe?«
Barbes füllige Wangen zitterten, als müsse sie sich Mühe geben, nicht in Tränen auszubrechen. Sie schluckte schwer und brachte schließlich eine Antwort heraus.
»Sie sind bei einer Amme, Madame … Außerhalb von Paris, in einem Dorf in der Nähe von Longchamp.«
»Meine Schwester Hortense hat sie nicht bei sich behalten?«
»Madame Hortense hat sie sofort in Pflege gegeben. Ich bin einmal zu der Amme gegangen, um ihr das Geld zu geben, das Ihr mir dafür hinterlassen hattet. Madame Hortense hat verlangt, dass ich es ihr gebe, dieses Geld, aber ich habe nicht alles herausgerückt. Ich wollte, dass es nur den Kindern zugutekommt. Später konnte ich nicht noch einmal zu der Amme gehen … Ich hatte den Haushalt von Madame Hortense verlassen … Danach hatte ich mehrere Stellungen … Es ist schwer, sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen.«
Sie sprach hastig und wich dabei Angéliques Blick aus. Diese überlegte. Das Dorf Longchamp lag nicht allzu weit entfernt. Die Damen des Hofes unternahmen gern Ausflüge dorthin, um bei den Nonnen der Abtei die Messe zu hören … Mit nervösen Bewegungen hatte Barbe sich erneut an das Rupfen des Huhns gemacht. Angélique hatte den Eindruck, dass jemand sie beobachtete. Als sie sich umdrehte, entdeckte sie den Küchenjungen, dessen Blicke keinen Zweifel daran ließen, welche Empfindungen diese schöne, in Lumpen gekleidete Frau in ihm hervorrief. Angélique war an solch lüsterne Männerblicke gewöhnt. Aber dieses Mal störte es sie. Rasch stand sie auf.
»Wo wohnst du, Barbe?«
»Hier, in diesem Haus, unter dem Dach.«
In diesem Moment trat der Wirt des
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