Angélique - In den Gassen von Paris
Kecken Hahns ein. Die Mütze saß ihm schief auf dem Kopf.
»Was treibt ihr denn da alle?«, erkundigte er sich mit schleppender Stimme. »David, die Gäste verlangen nach dir … Ist dieses Huhn bald fertig, Barbe? Meine Güte, soll ich mich etwa selbst an die Arbeit machen, während ihr alle faulenzt … Und was hat dieses Weib da zu suchen? Hinaus! Und versuch bloß nicht, mir einen Kapaun zu mausen!«
»Oh, Madame!«
An diesem Abend war Angélique nicht in der Stimmung, sich etwas gefallen zu lassen. Sie stemmte die Fäuste in die Hüften, und wie von selbst drängte sich ihr der farbige Wortschatz der Polackin auf die Lippen.
»Halt bloß den Rand, du dickes Fass! Ich will deine uralten Hühner gar nicht, die nach Pappkarton schmecken. Und du, du liebeskranker Milchbart, pass lieber auf, wohin du glotzt, und klapp die Futterluke zu, sonst kriegst du nämlich ein paar drauf …«
»Oh, Madame!«, rief Barbe in wachsendem Entsetzen.
Angélique nutzte die Verblüffung der beiden Männer.
»Ich warte draußen auf dich, im Hof«, flüsterte sie ihr zu.
Als Barbe kurz darauf, einen Kerzenleuchter in der Hand, auf den Hof trat, folgte Angélique ihr über die wacklige Treppe in die Dachkammer, die Meister Bourjus seiner Magd für ein paar Sols vermietete.
»Bei mir sieht es recht ärmlich aus, Madame«, erklärte Barbe beschämt.
»Mach dir keine Gedanken. Ich weiß, was Armut heißt.«
Angélique streifte ihre Schuhe ab, um die Kühle des Kachelbodens zu genießen, und setzte sich dann auf das Bett,
das keine Vorhänge hatte, sondern aus einem einfachen Strohsack auf einem vierfüßigen Gestell bestand.
»Ihr müsst Meister Bourjus entschuldigen«, meldete Barbe sich erneut zu Wort. »Er ist kein schlechter Mensch, aber seit dem Tod seiner Frau ist er nicht mehr er selbst und trinkt nur noch. Der Küchenjunge ist ein Neffe von ihm, den er aus der Provinz hat kommen lassen, damit er ihm hilft. Aber er ist nicht besonders helle. Deswegen gehen die Geschäfte auch sehr schlecht.«
»Könnte ich vielleicht hier übernachten«, bat Angélique, »wenn du nichts dagegen hast, Barbe? Morgen in aller Frühe breche ich auf und gehe meine Kinder besuchen. Darf ich in deinem Bett schlafen? Das wäre mir recht.«
»Madame erweist mir große Ehre.«
»Ehre …«, sagte Angélique bitter. »Schau mich an und sprich nicht mehr so untertänig zu mir.«
Barbe brach in lautes Schluchzen aus.
»Oh, Madame«, stammelte sie. »Euer schönes Haar… Euer wunderschönes Haar! Wer bürstet es Euch jetzt?«
»Ich selbst … gelegentlich. Weine doch nicht so schrecklich, Barbe, ich bitte dich.«
»Wenn Madame es mir erlaubt«, murmelte die Magd, »habe ich dort eine Bürste. Ich könnte vielleicht die Gelegenheit nutzen … Euer Haar …«
»Wenn du möchtest.«
Mit geschickten Händen begann die Magd die schönen Locken zu entwirren. Angélique schloss die Augen. Solche alltäglichen Handlungen üben eine große Wirkung aus. Es genügte, die behutsamen Hände einer Zofe zu spüren, und schon entstand erneut eine auf immer entschwundene Stimmung. Barbe schnüffelte.
»Weine nicht«, bat Angélique noch einmal. »All das wird vorübergehen… Ja, ich glaube fest daran, dass es vorbeigeht.
Nicht allzu bald, ich weiß, aber es wird ein Tag kommen … Das verstehst du nicht, Barbe. Das alles ist wie ein Teufelskreis, aus dem es nur einen Ausweg gibt, den Tod. Aber ich bin überzeugt davon, dass ich es trotzdem schaffe. Weine nicht, Barbe, mein gutes Mädchen …«
Sie schliefen Seite an Seite. Barbe begann bei Tagesanbruch zu arbeiten. Angélique folgte ihr in die Küche. Barbe gab ihr heißen Wein zu trinken und steckte ihr zwei kleine Pasteten zu.
Angélique war unterwegs nach Longchamp. Sie hatte die Stadt durch die Porte Saint-Honoré verlassen. Nachdem sie einer sandigen, baumbestandenen Promenade gefolgt war, die man Champs-Elysées nannte, gelangte sie in das Dorf Neuilly, wo sich, wie Barbe versicherte, die Kinder befanden. Immer noch wusste sie nicht, was sie tun sollte. Vielleicht war es besser, sie nur aus der Ferne zu beobachten? Und wenn Florimond beim Spielen in ihre Nähe kam, würde sie versuchen, ihn mit einer Pastete zu sich zu locken.
Sie ließ sich das Haus von Mutter Mavaut beschreiben. Als sie näher kam, sah sie einige Kinder, die unter der Aufsicht eines etwa dreizehnjährigen Mädchens im Staub spielten. Sie waren ziemlich schmutzig und ungepflegt, wirkten aber wenigstens gesund.
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