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Angélique - In den Gassen von Paris

Angélique - In den Gassen von Paris

Titel: Angélique - In den Gassen von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Golon
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Vergeblich suchte sie unter ihnen nach Florimond.
    Eine kräftige Frau in Holzpantinen kam aus dem Haus. Angélique vermutete, dass es sich um die Amme handelte, und beschloss, in den Hof zu treten.
    »Ich möchte gern zwei Kinder besuchen, die Madame Fallot de Sancé bei Euch in Pflege gegeben hat.«
    Die Bäuerin, eine tief gebräunte, fast männlich herb wirkende Frau, musterte sie mit unverhohlenem Misstrauen.
    »Bringt Ihr das Geld, mit dem sie im Rückstand ist?«

    »Sie ist Euch also noch Pflegegeld schuldig?«
    »Und ob!«, schimpfte die Frau. »Das, was Madame Fallot mir gegeben hat, als ich die Kinder aufgenommen habe, und mit dem, was ihre Magd mir später gebracht hat, konnte ich sie gerade einen Monat lang durchfüttern. Und dann kam nichts mehr, kein Sol! Ich bin nach Paris gegangen, um mich zu beschweren, aber die Fallots waren umgezogen. So halten es die Juristen, diese Krähen.«
    »Wo sind sie?«, verlangte Angélique zu wissen.
    »Wer?«
    »Die Kinder.«
    »Was weiß ich?«, gab die Amme schulterzuckend zurück. »Ich habe gerade genug Arbeit mit den Bälgern der Leute, die auch bezahlen.«
    Das Mädchen war herangetreten.
    »Der Kleinere ist dort«, erklärte sie lebhaft. »Ich will ihn Euch zeigen.«
     
    Sie zog Angélique hinter sich her. Die beiden durchquerten den Hauptraum des Bauernhauses und gelangten in den Stall, in dem zwei Kühe standen. Hinter der Futterraufe nahm sie den Deckel von einer Kiste, in der Angélique in der Dunkelheit mit Mühe ein Kind von etwa sechs Monaten entdeckte. Es war nackt und trug nur ein schmutziges Stück Stoff um den Bauch. Gierig saugte es an einem Zipfel des Lumpens.
    Angélique griff nach der Kiste und zog sie in den Raum hinein.
    »Ich habe ihn in den Stall gestellt, weil es hier nachts wärmer ist als im Keller«, flüsterte das Mädchen. »Er hat überall Krusten, aber mager ist er nicht. Ich melke nämlich morgens und abends die Kühe und gebe ihm jedes Mal ein wenig Milch.«

     
    Entsetzt sah Angélique den Säugling an. Diese hässliche, von Pusteln und Ungeziefer überzogene kleine Larve konnte unmöglich Cantor sein! Außerdem war Cantor mit blondem Haar zur Welt gekommen, und dieses Kind hatte braune Locken. Doch in diesem Moment erwachte er und schlug seine klaren, wunderschönen Augen auf.
    »Er hat grüne Augen, genau wie Ihr«, meinte das Mädchen. »Seid Ihr etwa seine Mutter?«
    »Ja, ich bin seine Mutter«, antwortete Angélique mit ausdrucksloser Stimme. »Wo ist der Ältere?«
    »Er muss in der Hundehütte sein.«
    »Misch dich nicht in Dinge ein, die dich nichts angehen, Javotte«, rief die Bäuerin.
     
    Die Frau beobachtete das Treiben der beiden feindselig, schritt aber nicht ein. Vielleicht hoffte sie, dass diese betrübt wirkende Frau doch noch Geld gebracht hatte.
    Angélique nahm die Kiste mit dem Säugling und folgte dem Mädchen.
    In der Hundehütte lag eine grimmig aussehende Bulldogge. Javotte musste mit Engelszungen auf das Tier einreden, damit es herauskam.
    »Flo versteckt sich immer hinter Patou, weil er Angst hat.«
    »Wovor denn?«
    Das kleine Mädchen sah sich rasch um.
    »Davor, geschlagen zu werden.«
    Sie zog etwas aus dem hinteren Teil der Hundehütte. Ein schwarzes, krauses Knäuel tauchte auf.
    »Aber das ist doch noch ein Hund!«, rief Angélique.
    »Nein, das sind seine Haare.«
    »Sicher«, murmelte sie.
    Natürlich, solches Haar konnte nur Joffrey de Peyracs
Sohn gehören. Doch nach dem dichten, dunklen Schopf kam ein graues, in Lumpen gekleidetes, skelettartiges Körperchen zum Vorschein.
     
    Angélique kniete nieder, strich mit zitternder Hand die verfilzte Mähne zurück und sah in das magere, bleiche Gesicht, in dem zwei große schwarze Augen glänzten. Obwohl es sehr warm war, zitterte das Kind heftig. Die winzigen Knochen standen spitz aus seiner rauen, schmutzigen Haut hervor.
    Angélique stand auf und trat auf die Amme zu.
    »Ihr lasst die Kinder verhungern«, erklärte sie langsam und betont. »Ihr lasst sie elendig dahinvegetieren … Seit Monaten haben diese Kinder weder Pflege noch Nahrung erhalten. Höchstens die Futterreste des Hundes oder die Brocken, die dieses Mädchen sich von seinem schmalen Essen abgespart hat. Ihr seid eine gewissenlose Person!«
    Die Bäuerin war hochrot angelaufen und verschränkte die Arme vor ihrer Brust.
    »Ihr habt gut reden«, rief sie wutentbrannt. »Man halst mir die Gören auf, ohne einen Sou zu bezahlen, man verschwindet, ohne eine Adresse zu hinterlassen,

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