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Angélique - In den Gassen von Paris

Angélique - In den Gassen von Paris

Titel: Angélique - In den Gassen von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Golon
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gehen.«
     
    Angélique teilte also der Gräfin de Soissons über ihren Lakaien mit, sie brauche ihre Spenden nicht mehr und bedanke sich für ihre wohltätigen Gaben. Als sie den Dienstboten zum letzten Mal sah, gab sie ihm ein Trinkgeld. Der Bursche, der sich seit dem ersten Tag noch nicht von seiner Verblüffung erholt hatte, schüttelte den Kopf.
    »Man kann wohl sagen, dass ich im Leben schon zu vielem gezwungen war, aber noch nie dazu, eine Frau wie dich aufzusuchen!«
    »Das wäre nur halb so schlimm«, entgegnete Angélique, »wenn ich nicht ebenfalls genötigt gewesen wäre, deine Besuche zu ertragen.«

     
    In letzter Zeit hatte sie das Essen und die Kleidung, die Madame de Soissons schickte, unter den immer zahlreicher werdenden Bettlern und Herumtreibern verteilt, die sich um den Kecken Hahn drängten. Etliche bekannte Gesichter waren darunter, die eine schweigende Drohung ausstrahlten. Sie beschenkte sie so, wie man versucht, eine feindliche Streitmacht gnädig zu stimmen.
    Ohne Worte verlangte sie von diesen Elenden das Recht auf Freiheit. Doch sie wurden mit jedem Tag anspruchsvoller. Wie eine Flut brandeten ihre Lumpen und Krücken gegen ihren Zufluchtsort an. Sogar die Gäste des Kecken Hahns protestierten gegen diese Invasion und erklärten, in der Umgebung der Bratküche wimmelten mehr verlauste Gestalten herum als an einem Kirchenportal. Ihr Gestank und der Anblick ihrer eiternden Schwären verdarben ihnen den Appetit.
    Meister Bourjus tobte, und dieses Mal war sein Zorn echt.
    »Du ziehst diese Leute an wie der Schnittlauch die Schlangen und Asseln. Hör auf, ihnen Almosen zu geben, und schaff mir dieses Ungeziefer vom Hals, oder ich sehe mich gezwungen, mich von dir zu trennen.«
    »Wieso glaubt Ihr eigentlich, dass Euer Lokal mehr unter den Bettlern leidet als andere?«, schrie sie zurück. »Habt Ihr nicht die Gerüchte gehört, die im ganzen Königreich umgehen? Es heißt, die hungernden Bauern zögen wie ganze Armeen in die Städte und dass es immer mehr Arme gibt … Der Winter ist schuld daran, es herrscht Hungersnot …«
    Aber sie hatte Angst.
     
    Nachts in dem großen, stillen Zimmer, in dem nur der Atem der beiden Kinder zu hören war, stand sie oft auf und schaute aus dem Fenster auf die schweren Wasser der Seine hinaus, die im Mondlicht glitzerten. Unten vor dem Haus
lud man auf einem Uferstück die Überbleibsel und den Abfall der Bratküchen ab; Federn, Füße, Innereien und Reste, die man nicht wieder auftragen konnte. Hunde und Arme suchten dort nach Essen. Man hörte sie in dem ekelhaften Abfall wühlen. Es war die Stunde, in der sich in Paris die Rufe und Pfiffe der Banditen erhoben. Angélique wusste, dass nur ein paar Schritte zur Linken, jenseits der Spitze des Pont au Change, der Quai de Gesvres begann, dessen hallendes Gewölbe die schönste Räuberhöhle der Hauptstadt war. Sie erinnerte sich an diese feuchte, weitläufige Grotte, durch die das Blut aus den Schlachthöfen an der Rue de la Vieille Lanterne in Strömen floss.
    Natürlich gehörte sie nicht mehr zu den verfluchten Bewohnern der Nacht. Jetzt war sie eine von denen, die sich in ihren gut versperrten Häusern bekreuzigten, wenn aus den düsteren Gassen ein Todesschrei aufstieg.
    Sie hatte schon sehr viel erreicht. Doch würde die schwere Last dieser Vergangenheit Angélique auf ihrem Weg hindern? Es war nicht so einfach, sich zu sagen: »Ich bin frei.« Konnte man der Gaunerzunft tatsächlich entkommen?
     
    Eines Tages, als sie ihre Einkäufe machte, hatte Beau-Garçon sie angesprochen. Seine Haltung zeugte davon, dass sie aus verschiedenen Gründen, die er sich vielleicht selbst nicht erklären konnte, »verbotenes Gebiet« für ihn war.
    Aber er wollte wissen, was mit Rosine sei. Überrumpelt antwortete Angélique, Rosine gehe es gut, wo sie jetzt sei, und sie habe nicht vor, ihretwegen etwas zu unternehmen.
    »Aber«, hielt Beau-Garçon ihr entgegen, »sie ist eine der Frauen von Rolin-le-Trapu gewesen. Sie gehört zur Gaunerzunft.«
    Angélique mahnte sich zur Vorsicht. Sie suchte nach etwas,
das den berühmtesten Zuhälter der Unterwelt von Paris von seiner amourösen Begehrlichkeit gegenüber Rosine abbringen konnte.
    Sie erklärte ihm – was im Übrigen stimmte –, einer ihrer Gäste, ein Maler aus der Innung des Heiligen Luc, der seine Werke auf dem Pont-Neuf ausstelle, hege zärtliche Gefühle für sie. Er wünsche sich nicht nur, dass sie ihm Modell stand, sondern wolle sie heiraten. Mit ihrer

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