Angelique und der Koenig
Tone fort: »Alle, die ich bisher zu ihm schickte, haben mir nichts als Dummheiten erzählt. Torcy und Saint-Amon schildern ihn als einen ungehobelten Barbaren, unfähig, sich unseren Gebräuchen anzupassen, und ohne Respekt für den König, dessen Gast er ist.«
»Ich bin überzeugt, Sire«, warf Angélique ein, »hättet Ihr die Möglichkeit, ihm an Stelle Eurer Bevollmächtigten persönlich gegenüberzutreten, dann wären die Schwierigkeiten nicht aufgetaucht. Ihr besitzt die Gabe, mit einem einzigen Blick in das Innerste eines jeden zu dringen.«
»Leider können die Könige gewisse Schritte nicht selbst unternehmen. Aber sie müssen es verstehen, die richtigen Menschen ihren Fähigkeiten gemäß mit der Erledigung ihrer Angelegenheiten zu betrauen.«
Einen Augenblick sah er nachdenklich auf die Karte nieder, dann wandte er sich ihr wieder zu.
»Ihr wart so gütig, im rechten Augenblick zurückzukehren, Madame, um uns behilflich zu sein.«
»Heute morgen hat Euer Majestät anders gesprochen…«
»Ich gebe es zu. Ein Dummkopf, wer behauptet, sich nie geirrt zu haben. Ich weiß, was ich erreichen und was ich vermeiden muss. Euch zu ihm zu schicken ist das sicherste Mittel, zu diesem Ziel zu gelangen. Denn wenn es uns nicht gelingt, den Botschafter von unserem Wohlwollen zu überzeugen, wird der Schah unsere Jesuiten ausweisen und seine Seide behalten. Das Schicksal der einen wie der anderen liegt in Euren Händen.«
Angélique sah auf ihre Hand hinunter, an der der Türkis im Schein der Kerzen glänzte.
»Was habe ich zu tun? Welche Rolle soll ich spielen?«
»Die Absichten des Fürsten erforschen und mich danach über die Art unterrichten, in der man ihn behandeln muss, ohne einen Fehlgriff zu tun. Und wenn möglich im Voraus erkunden, was für Fallen dieser Mensch uns stellen könnte.«
»Kurz gesagt, ihn verführen. Soll ich versuchen, ihm wie Dalilah das Haar abzuschneiden?«
Der König lächelte:
»Ich überlasse Euch die Entscheidung, was zweckmäßig ist.«
Angélique nagte an ihrer Unterlippe und spürte, dass dieses Vertrauen, weit davon entfernt, sie zu ehren, leisen Unwillen in ihr auslöste. »Das Unternehmen ist nicht so einfach. Es verlangt viel Zeit.«
»Das macht nichts aus.«
»Ich dachte, jedermann läge daran, dass der Botschafter so bald wie möglich sein Beglaubigungsschreiben überreicht.«
»Jedermann... außer mir. Mir liegt daran, zuvor die moskowitische Botschaft zu empfangen, die schon auf dem Weg hierher ist. Danach kann ich offener mit dem Perser reden. Denn wenn die Moskowiter ihr Einverständnis erklären, könnte für die Seide eine neue Route auf dem Landweg festgelegt werden. Es bestände dann nicht mehr die Gefahr, dass sie von den Türken, Genuesen und tutti quanti gestohlen würde.«
»Die Warenballen würden nicht mehr übers Meer zu uns gelangen?«
»Nein. Sie würden dem alten tatarischen Reiseweg der Kaufleute von Samarkand nach Europa folgen. Seht! Dies ist die Seidenstraße, die ich benutzen möchte: durch die Steppen Transkaukasiens, die Ukraine, Bessarabien, Ungarn. Dann durch das Gebiet meines Vetters, des Kurfürsten von Bayern. Letzten Endes fahren wir billiger dabei, denn wir entgehen den Plünderungen der Berber und sparen die unmäßigen Zölle, die wir auf dem Seeweg bezahlen müssen.«
Während sie, über die Landkarte gebeugt, nebeneinanderstanden, waren sich ihre Köpfe näher gekommen. Angélique spürte an ihrer Wange die Berührung seines Haars. Verwirrt richtete sie sich auf. Es fröstelte sie. Um den Tisch herumgehend, ließ sie sich wieder dem König gegenüber nieder; dabei bemerkte sie, dass während der Unterhaltung das Feuer erloschen war. Ein Kälteschauer lief ihr über den Rücken. Sie ärgerte sich, dass sie ihren Mantel nicht mitgenommen hatte. Aber es half nichts; sie musste warten, bis der König sie verabschiedete. Er schien es damit jedoch nicht eilig zu haben, vielmehr setzte er ihr, ganz von seinem Thema gefangen, Colberts Pläne bezüglich der Manufakturen von Lyon und Marseille auseinander. Endlich hielt er inne.
»Ihr hört mir nicht mehr zu. Was habt Ihr?«
Angélique, die Ellbogen fröstelnd an ihren Körper pressend, wagte nicht zu antworten. Der König war ungewöhnlich abgehärtet; er ignorierte Kälte, Hitze und Müdigkeit und duldete keine Empfindlichkeit bei denen, die die Ehre hatten, sich in seiner Gesellschaft zu befinden. Beklagte man sich, so forderte man seine Übellaunigkeit heraus und musste sich unter Umständen darauf
Weitere Kostenlose Bücher