Angelique und der Koenig
Zofen nicht zu wecken. Seiner Majestät ist daran gelegen, dass äußerste Diskretion gewahrt wird und die Kenntnis von der Existenz dieser Geheimtür auf wenige zuverlässige Personen beschränkt bleibt.«
»Ich werde darauf bedacht sein.«
Sie zündete ihre eigene Kerze an Bontemps’ Leuchter an und betrat das anstoßende Kabinett.
»Du lässt dich nicht so leicht aus der Fassung bringen«, hatte Raymond zu ihr gesagt. Das stimmte. Die harten Prüfungen ihres Lebens hatten sie gelehrt, dass es besser war, der Gefahr ins Gesicht zu sehen, als sich ihr furchtsam zu entziehen. Ihre Zähne klapperten, aber nur aus Nervosität und vor Kälte.
»Monsieur Bontemps, habt die Liebenswürdigkeit, mir das Kleid zuzuhaken.«
Der Kammerdiener bückte sich und stellte seinen Leuchter auf einen Schemel. Angélique empfand Achtung vor diesem umgänglichen Manne, der etwas Natürlich-Vornehmes hatte, fern jeglicher Unterwürfigkeit, und dessen Stellung nicht immer beneidenswert war. Er trug die Verantwortung für den Haushalt des Königs, für die Unterkünfte und die Verpflegung des gesamten Hofstaats. Ludwig XIV, dem er unersetzlich war, lud auf ihn die Sorge für tausend Kleinigkeiten ab. Um ihn nicht in unpassenden Augenblicken belästigen zu müssen, zögerte Bontemps auch nicht, Forderungen an seinen Herrn aus eigener Tasche zu bezahlen, so dass ihm der König nicht weniger als siebentausend Pistolen schuldete, die er für den Spieltisch und das Lotto vorgestreckt hatte.
Über den Spiegel geneigt, legte Angélique ein wenig Rouge auf. Ihr Mantel befand sich in dem von ihren Kammermädchen bewohnten Nebenzimmer. Achselzuckend sagte sie:
»In Gottes Namen. Ich bin bereit, Monsieur Bontemps.«
Nur mit Mühe zwängte sie ihre schweren Röcke durch die Geheimtür. Nachdem diese geräuschlos wieder geschlossen worden war, befand sie sich in einem schmalen, kaum mannshohen Gang. Bontemps führte sie eine kleine Wendeltreppe hinauf, dann wieder drei Stufen hinunter. Ein endlos langer, gewundener Schlauch tat sich vor ihnen auf, von Kabinetts oder kleinen Salons unterbrochen, die dürftig mit einem Bett, einem Schemel oder einem Schreibtisch möbliert und für wer weiß welche geheimnisvollen Gäste und Zusammenkünfte bestimmt waren. Ein ungeahntes Versailles offenbarte sich ihr: das der Spitzel und Bedienten, der Incognitobesuche, der heimlichen Unterredungen und Abmachungen. Ein obskures Versailles, das sich wie ein unsichtbares Labyrinth um goldglänzende, strahlend helle Säle zog. Nachdem sie eine letzte Kammer durchquert hatten, in der eine Bank und ein viereckiger Wandteppich die Besucher einer unterirdischen Stadt zu erwarten schienen, tat sich die Tür zum Kabinett des Königs auf. Zwei sechsarmige Leuchter spiegelten sich in der schwarzen Marmorplatte des Schreibtischs und verrieten die Anwesenheit des Monarchen, der sich angelegentlich über seine Arbeit neigte. Vor dem Kamin, in dem ein Feuer knisterte, schlummerten zwei große Windhunde. Leise knurrend hoben sie die Köpfe, um sich alsbald wieder auszustrecken. Bontemps schürte das Feuer, legte ein Scheit auf und zog sich diskret zurück. Lautlos Schloss sich hinter ihm die Tür. Ludwig XIV sah auf. Angélique bemerkte, dass er lächelte.
»Nehmt Platz, Madame.«
Erwartungsvoll setzte sie sich auf den äußersten Rand eines Sessels. Die Stille dauerte noch eine Weile an. Kein Geräusch drang durch die schweren blauen, mit goldenen Lilien verzierten Vorhänge an den Fenstern und Türen. Endlich erhob sich der König und pflanzte sich mit verschränkten Armen vor Angélique auf.
»Nun? Kein Wort des Vorwurfs? Man hat Euch doch schließlich aus dem Schlaf gerissen? Was macht Ihr mit Eurem Groll?«
»Sire, ich stehe Eurer Majestät zur Verfügung.«
»Was verbirgt sich hinter dieser plötzlichen Unterwürfigkeit? Welche bissige Antwort? Welche Grobheit?«
»Euer Majestät ist im Begriff, das Bild einer Harpyie zu entwerfen, dessen ich mich schäme. Ist das die Meinung, die Ihr von mir habt, Sire?«
Der König wich ihrer Frage aus.
»Pater Joseph hat mir über eine Stunde lang Eure Verdienste gerühmt. Er ist ein verständiger Mann von offenem Geist und großem Wissen, ich gebe viel auf seinen Rat. Es stünde mir daher schlecht an, Euch die Absolution zu verweigern, wenn die großen Geister der Kirche den Mantel der Nachsicht über Euch breiten. Was veranlasst Euer spöttisches Lächeln?«
»Ich war nicht darauf gefasst, zu dieser nächtlichen Stunde hierherbeschieden zu
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