Angelique und der Koenig
vorheriger Untersuchung darüber entschied, welche Kranken dem König vorgestellt werden sollten. Dann legte sie dem Kind mit einem Wundwasser getränkte Kompressen auf, das Meister Savary ihr empfohlen hatte.
Der alte Pain-Sec gehörte zu ihren »Stammgästen«. Seit Jahren kam er regelmäßig ins Hôtel du Beautreillis. Angélique behandelte seine Geschwüre und wusch ihm die Füße. Zwar sah er die Notwendigkeit des letzteren nicht ein, aber er ließ sie gewähren, da sie nun einmal so viel Wert darauf legte. In seinen struppigen grauen Bart brummelnd, berichtete er ihr die Chronik seiner »Pilgerfahrten«. Denn er war alles andere als ein gewöhnlicher Bettler. Er war ein Pilger der heiligen Reliquien, wovon die Muscheln an seinem Hut, die zahllosen Rosenkränze und die an einem Stock befestigte dicke Glocke zeugten. Zwar führten ihn seine Wanderungen kaum aus der Ile-de-France heraus, aber dafür kannte er von diesen einträglichen Rundreisen her auch das kleinste Schloss.
Pain-Sec beurteilte die Großen nach der Qualität ihrer Küche. Das war ein Gesichtspunkt, der mehr taugte als mancher andere, und Angélique machte es Spaß, sich seine Chronik anzuhören.
»Was gibt’s zu berichten, Pain-Sec?« fragte sie.
»Heut früh«, sagte Pain-Sec und steckte widerwillig seine Füße in das Becken mit warmem Wasser, »bin ich von Versailles zurückgekommen. Zu Fuß. Ein bisschen Bewegung tut gut. Auf einmal bellt mein Köter, und ein Landstreicher kommt aus dem Wald spaziert. Ihn anschauen und mir sagen: Das is’ ’n Bandit, war eins. Aber ich fürcht’ mich vor keinem, was? Wegzunehmen gibt’s bei mir nichts. Er kommt auf mich zu und sagt: ›Du isst Brot, gib mir ein Stück ab. Ich geb’ dir Gold dafür.‹ ›Erst vorzeigen‹, sag’ ich. Er zeigt mir zwei Goldstücke. Ich geb’ ihm den ganzen Kanten für den Preis. Danach fragt er mich nach dem Weg nach Paris. ›Trifft sich gut‹, sag’ ich, ›ich bin auch auf dem Weg dahin.‹ Ein Weinhändler mit leeren Fässern auf seinem Karren kommt vorbei und nimmt uns mit. Unterwegs schwatzen wir, und ich erzähl’ ihm, dass ich in Paris alle Welt kenne, die feinen Leute und so. ›Ich möcht’ zu Madame du Plessis-Bellière‹, sagte er zu mir. ›Trifft sich gut, ich will auch zu ihr‹, sag’ ich zu ihm. ›Sie ist meine einzige Freundin‹, sagt er zu mir.«
Angélique, die ihm eben einen Verband anlegte, hielt inne.
»Du phantasierst, Pain-Sec. Ich habe keine Freunde unter Banditen.«
»Ich hab’s ja nicht behauptet. Ich erzähl’ dir nur, was er mir gesagt hat. Und wenn du mir nicht glaubst, frag ihn selbst. Er ist hier.«
»Wo denn?«
»Dort in der Ecke. Scheint dem Bruder nicht zu passen, wenn man ihm zu sehr unter die Nase schaut!«
Der Mann, auf den er wies, schien sich tatsächlich mehr hinter dem Pfeiler des Gesinderaums zu verstecken, als sich an ihn zu lehnen. Angélique hatte ihn beim Verteilen der Brote nicht bemerkt. Er war in einen weiten, zerfetzten Mantel gehüllt, dessen Kragen er hochgeschlagen hatte, so dass er sein Gesicht zur Hälfte verbarg. Sein Aussehen wirkte auf die Herrin des Hauses wenig vertrauenerweckend. Sie stand auf, und während sie auf ihn zuschritt, erkannte sie plötzlich in einer jähen Regung von Angst und Freude Rakoski. »Ihr!« hauchte sie. Sie packte ihn unwillkürlich bei den Schultern und spürte, wie abgezehrt sein Körper unter dem viel zu weiten Mantel war.
»Woher kommt Ihr?« flüsterte sie.
»Der gute Mann dort hat es Euch gesagt: aus den Wäldern!«
Seine tief eingesunkenen Augen leuchteten noch immer, aber seine Lippen im struppigen Bart waren bleich. Sie rechnete es sich rasch aus: mehr als ein Monat war seit dem Empfang der moskowitischen Botschaft vergangen. Mein Gott! Das war doch nicht möglich! Mitten im Winter!
»Bleibt hier«, sagte sie. »Ich werde mich um Euch kümmern.«
Als die Armen versorgt waren, ließ sie den ungarischen Fürsten in ein behagliches Zimmer führen, das mit einem florentinischen Bad verbunden war. Rakoski bemühte sich, durch allerlei Späße über seinen jämmerlichen Zustand hinwegzutäuschen. Er reckte sich zu majestätischer Haltung in seinen Lumpen, die er wirksam zu drapieren wusste, und erkundigte sich nach dem Ergehen, den Erfolgen seiner Gastgeberin, als befinde er sich im Vorzimmer des Königs. Doch nachdem er sich gewaschen und rasiert hatte, sank er erschöpft auf sein Bett und verfiel sofort in tiefen Schlaf.
Angélique ließ ihren Haushofmeister
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