Angelique und der Koenig
ununterbrochen unterwegs. Allein der Gedanke, wieder in die Kutsche steigen und noch einmal den Weg von Versailles nach Paris zurücklegen zu müssen, verursachte ihr Kreuzschmerzen. Im Schlosshof erwartete sie ihr Oberkutscher, den Hut in der Hand. Höchst würdevoll teilte er ihr mit, es sei das letzte Mal, dass er die Ehre habe, ihre Kutsche zu fahren. Er fügte hinzu, er habe seinen Beruf stets mit Sinn und Verstand ausgeübt, Gott aber missbillige die Narrheit, und außerdem sei er nicht mehr jung genug. Er schloss mit der Erklärung, zu seinem großen Bedauern sehe er sich genötigt, den Dienst bei der Frau Marquise aufzukündigen.
Achtunddreißigstes Kapitel
Die Bettler warteten im Raum hinter der Küche. Während sie sich eine weiße Schürze umband, sagte sich Angélique, dass sie die Pflicht der Damen von Rang, jede Woche mit eigenen Händen Almosen auszuteilen, allzusehr vernachlässigt habe. Infolge ihrer unsinnigen Fahrten zwischen dem Hof und Paris und den ewigen Festen waren die Erholungspausen im Hôtel du Beautreillis selten geworden. Da sie fand, dass ihr der König endlich einen Ruhetag schulde, hatte sie den Vormittag dazu benutzt, in Geschäften der Familie du Plessis an Molines zu schreiben und ihre Botschaft Malbrant Schwertstreich anzuvertrauen, der sich ins Poitou begeben und ihr die Ergebnisse seiner Besprechungen mit dem Verwalter berichten sollte.
Danach hatte sie sich zum Sieur David Chaillou begeben, der sich als Oberaufseher der Schokoladenbetriebe in der Stadt glänzend bewährte, und im Anschluss daran ihre Lagerhäuser mit den Produkten der Antillen inspiziert.
Bei ihrer Rückkehr hatte sie die Demoisellen de Gilandon und einige Bediente beim Richten der Gaben für die Armen vorgefunden, denn es war der Tag der Almosenverteilung. Angélique nahm die mit kleinen Broten gefüllten Körbe. Anne-Marie de Gilandon folgte ihr mit einem Kasten, in dem sich Scharpie und Medikamente befanden. Zwei Mägde trugen Becken mit heißem Wasser.
Das trübe Licht des Wintertages tauchte die Gesichter der Armen in ein gleichförmiges Grau. Einige hockten auf Bänken und Schemeln, andere lehnten längs der Mauer.
Zunächst teilte sie die Brote an sie aus. Für die Familienmütter, die sie wiedererkannte, ließ sie einen kleinen Schinken oder eine Wurst bringen, die sie mitnehmen konnten und die ihnen ein paar Tage reichen würden. Alle hatten sie bereits eine Schale Suppe gegessen. Es waren neue Gesichter unter ihnen. Vielleicht hatten ein paar von den »Stammgästen« es aufgegeben zu kommen, weil sie Angélique nie mehr zu sehen bekamen. Die Leute der Bettlerzunft waren solcher Sentimentalitäten fähig.
Angélique kniete nieder, um einer mit Geschwüren behafteten Frau die Füße zu waschen. Die Frau hielt ein schwächliches Kind auf dem Schoß. Ihr Blick war hart und verschlossen, und sie presste ihre Lippen auf eine Art zusammen, die Angélique vertraut war.
»Du möchtest mich etwas fragen?«
Die Frau zögerte. Die Scheu der geschlagenen Hunde nimmt oft den Ausdruck des Zornes an. Mit einer jähen Bewegung reichte sie ihr das Kind. Angélique untersuchte es. Es hatte Eiterbeulen im Nacken, von denen zwei aufgegangen waren.
»Es muss verbunden werden.«
Die Frau schüttelte heftig den Kopf. Der alte Pain-Sec, ein Krüppel, der an Krücken ging, kam ihr zu Hilfe.
»Sie möchte, dass der König es berührt. Du bist doch mit dem König bekannt. Erklär dem Mädchen, wo er vorbeikommt, damit sie sich an seinen Weg stellen kann.«
Nachdenklich strich Angélique über Stirn und Schläfen des Kindes. Verängstigte Eichhörnchenaugen blinzelten aus einem Jammergesichtchen. Der König sollte es berühren? Warum nicht? Seit Chlodwig, dem ersten christlichen König des Frankenreichs, vererbte sich das Privileg, die Skrofulösen zu heilen, auf jeden seiner Nachfolger. Gott hatte ihnen diese Gabe verliehen und ihnen am Tage des ersten Weihefestes durch eine Taube das heilige Wundöl gesandt. Kein Monarch hatte sich je dieser Pflicht entzogen, am wenigsten Ludwig XIV. An jedem Sonntag, in Versailles, in Saint-Germain oder in Paris, empfing er die Kranken. Er hatte ihrer mehr denn fünfzehnhundert allein in diesem Jahr berührt, und man sprach von zahllosen Heilungen. Angélique riet der Frau, sich in der folgenden Woche wieder bei ihr einzufinden. Bis dahin werde sie mit Monsieur Vallot, dem Leibarzt des Königs, gesprochen haben, der täglich in seidener Robe dem Souper Seiner Majestät beiwohnte und nach
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