Angelique und der Koenig
ich dem König gesagt habe, ich hätte ihn wegen Monsieur Duchesne nicht angelogen. Picard, der Diener, der ihm Früchte reichte, muss mich gehört haben. Er hat es Monsieur Duchesne bestimmt wiedererzählt.«
Der Diener... Richtig, der Diener mit den Früchten. Er war das letzte Glied der Kette…
»Aber es war doch Monsieur de Carapert, der dich in die Küche schickte.«
»Monsieur de Carapert tut alles, was Duchesne ihm sagt. Haha! Er bekommt langsam Angst vor mir, der gestrenge Monsieur Duchesne!«
»Wann merkst du dir endlich, dass du nicht so in den Tag hineinreden sollst!« fuhr ihn Angélique gereizt an. Sie war glücklich gewesen, ihn wohlbehalten bei sich zu wissen. Jetzt musste sie sich bezwingen, um ihn nicht zu ohrfeigen. »Ist dir klar, dass du in diesem Augenblick mit gebrochenen Gliedern unter dem Gerüst liegen könntest?«
»Ich wäre tot«, sagte Florimond philosophisch. »Basta! Das passiert einem jeden.«
Die Zofen Thérèse und Javotte traten ein und brachten das Ballkleid Madames.
»Nehmt ihn mit«, sagte Angélique zu dem kleinen Abbé. »Ich weiß nicht mehr, wo mir der Kopf steht. Passt auf ihn auf. Lasst ihn nicht allein.«
Doch kaum war der Junge in Begleitung Malbrants und seines Erziehers verschwunden, als sie auch schon bereute, ihn weggeschickt zu haben. Sie bat Thérèse, ihr zur Beruhigung ein Glas Branntwein einzuschenken. Sie zögerte zu trinken. Womöglich war auch das Getränk vergiftet? Als sie dennoch getrunken hatte, begann sie die Situation klarer zu sehen.
»Wenn ich volle Gewissheit hätte«, sagte sie sich, »würde ich das Nötige tun.«
Barcaroles Ratschläge kamen ihr in den Sinn. Duchesne aus dem Weg zu räumen, wäre ein leichtes. Malbrant Schwertstreich würde es bei Gelegenheit besorgen oder statt seiner gedungene Banditen. Und wenn es ihr gelänge, eine der Damen der Montespan zu gewinnen, wüsste sie wenigstens über die ihr drohenden Gefahren Bescheid. Sie dachte an jene Désoeillet, in die Athénaïs großes Vertrauen setzte, ein Mädchen, das als bestechlich galt und das sie schon beim Falschspielen ertappt hatte. Mit Hilfe eines weiteren Glases Branntwein war sie in der Lage, zu tanzen und während des Balls Haltung zu bewahren, doch als sie nach dem kleinen Souper bei der Königin in ihr Appartement zurückkehrte, steigerte sich ihr Angstgefühl bis zur Unerträglichkeit. Sie hatte die Empfindung, in ihrem Zimmer nicht allein zu sein. Sie wandte den Kopf und hätte vor Entsetzen fast aufgeschrien. Zwei kohlschwarze Augen starrten sie aus dem Dunkel einer Fensternische an. Eine kleine Gestalt kauerte dort wie eine lauernde Katze.
»Barcarole!«
Der Zwerg verließ sein Versteck und schob lautlos seinen missgestalteten Körper heran.
»Der Zauberer ist mit seiner Gavatterin in Versailles«, flüsterte er mit seiner heiseren Stimme. »Komm mit, Schwesterchen. Es gibt da noch gewisse Dinge, die du erfahren musst, wenn dir dein Leben lieb ist.«
Willenlos folgte sie ihm durch die Tapetentür, deren Existenz ihr durch Bontemps enthüllt worden war. Barcarole hatten keinen Leuchter. Er sah im Dunkeln wie die Tiere. Angélique stolperte und stieß sich an den winkligen Mauern des schmalen Geheimganges. Während sie sich halb gebückt mit den Händen vorwärts tastete, glaubte sie zu ersticken, lebendig eingemauert zu sein.
»Hier ist es«, raunte Barcarole. Sie hörte, wie seine Finger über das Getäfel strichen.
»Schwesterchen, weil du eine von den Unsrigen bist, will ich’s dir zeigen. Aber sieh dich vor! Was auch geschehen mag, was du auch hören oder sehen magst, du darfst keinen Laut von dir geben.«
»Verlass dich auf mich.«
»Selbst wenn du Zeuge eines Verbrechens wirst?«
»Ich werde mich nicht mucksen.«
»Wenn du dich muckst, ist es um uns beide geschehen.«
Das leise Knirschen einer Klinke wurde vernehmbar, und der Umriss einer Tür zeichnete sich in der Finsternis ab. Angélique presste ihr Gesicht an den winzigen Spalt. Zuerst vermochte sie nichts zu unterscheiden. Dann hob sich ganz allmählich aus seltsamen Dämpfen das Mobiliar eines Zimmers ab, in dem zwei dicke Kerzen spärliches Licht verbreiteten. Schatten bewegten sich. Ein auf seinen Fersen hockender Mann in priesterlichem Gewand psalmodierte ein paar Schritte von ihnen entfernt, ein dickes Messbuch in den Händen, sich in monotonem Rhythmus vor- und rückwärts beugend. Seine Stimme klang wie die eines betrunkenen Mesners.
Als Angélique in einer der vor ihm knienden Frauen die Wahrsagerin
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