Angelique und der Koenig
blickte in sich versunken über die Rasenflächen des Parks.
»Abbé«, rief sie ihn keuchend an, »wo ist Florimond?«
Erschrocken fuhr er herum. »Er ist vor kurzem hier vorbeigekommen, Madame. Er sagte mir, man habe ihn mit einem Auftrag zu den Küchen geschickt, er sei bald zurück. Ihr wisst ja, er liebt es, umherzulaufen und sich nützlich zu machen.«
»Ja! Ja!« nickte Naaman. »Is hören, wie jemand sagt: ›Is den jung Florimond bösen Weg geschickt. Jetzt man kann ruhig sein. Der klein Swätzer nix mehr reden.‹«
Da war er wieder, der drohende Schatten. Angélique spürte, wie er sich eisig über sie legte. »Der kleine Schwätzer wird nicht mehr reden…« Was bedeutete das? Ihr Herz begann plötzlich wie rasend zu pochen.
Sie packte den Abbé bei den Schultern und schüttelte ihn: »Sagt mir, um Himmels willen, welchen Weg er gegangen ist!«
»Zu den Küchen, hat er gesagt«, stammelte der Abbé. »Er wollte über die Treppe der Diana gehen, weil das kürzer sei…«
Naaman stieß einen schrillen Schrei aus wie ein in der Schlinge gefangener Affe. Er hob beide Hände mit gespreizten Fingern in einer Geste des Entsetzens.
»Treppe von Diana? Oh, serr, serr slest!«
Hals über Kopf stürzte er davon, dem Schlosse zu. Hinter ihm her liefen der Abbé und Angélique. Die mütterliche Angst verlieh der jungen Frau Flügel, denn trotz ihrer hinderlichen Kleidung hielt sie einigermaßen Schritt mit ihnen und holte sie ein, als der Abbé in der Halle vor den Appartements des Südflügels mit einem Posten verhandelte.
»Ein kleiner, rotgekleideter Page?« fragte die Wache und hob die Schultern. »Kann sein, kann aber auch nicht sein, dass so einer hier vorbeigelaufen ist. Ich hab’ ein wenig dem Fest zugesehen.«
Verlegen fügte er hinzu: »Es kommt hier auch selten jemand entlang, seitdem die Treppe der Diana wegen der Anbauarbeiten abgerissen wurde.«
»Abgerissen?« stammelte der Abbé. »Das hat Florimond nicht gewusst!«
»Ihr wollt doch nicht etwa sagen, dass sie der Junge benutzen wollte?« rief der Wachtposten mit einem Fluch.
Doch schon stürzten Naaman, der Abbé und Angélique den zur Treppe führenden Gang hinunter, der sich um diese Stunde in einem so tiefen Dunkel verlor, dass man das Gerüst an seinem Ende nicht ahnen konnte. Die Arbeiter hatten die Baustelle längst verlassen. In diese Finsternis voller Fallstricke war Florimond blindlings hineingelaufen. Angéliques Beine versagten den Dienst.
»Wartet«, rief die Wache. »Wartet, ich bringe Euch meinen Feuerschwamm. Ihr fallt sonst ins Leere. Es gibt einen Steg, aber man muss ihn kennen.«
Angélique tastete sich durch das Gewirr von Balken und Schutt voran. Der Posten holte sie ein.
»Halt!« rief er. »Da, seht!«
Die Flamme seines Feuerzeugs beleuchtete unmittelbar vor ihnen einen gähnenden, zwei Stockwerke tiefen Abgrund.
»Der Steg!« sagte der Posten entsetzt. »Man hat den Steg weggenommen. Wenn der arme Knirps hier wirklich vorbeigekommen ist…«
Angéliques Knie gaben nach. Sie sank zu Boden und beugte sich über das Dunkel, das ihren Sohn verschlungen hatte.
»Florimond!«
Dumpf hallte ihre Stimme zwischen den Mauern; sie erkannte sie selbst nicht wieder. Kalte, feuchte Kellerluft schlug ihr aus dem Abgrund entgegen. Nur das Echo des großen Schlosses antwortete.
»Florimond!«
Der Posten suchte mit der kümmerlichen Flamme die Finsternis zu erforschen.
»Es ist nichts zu sehen. Man müsste Leitern, Seile und Lichter holen. Steht auf, Madame. Es hat keinen Sinn, hier liegenzubleiben. Wir werden Euch stützen.«
Von wildem Schmerz überwältigt, ließ sich Angélique zu einer Bank in der dunklen Vorhalle führen. Aus einem der Appartements trat eine Magd mit einem Leuchter. »Ist Euch nicht wohl, Madame? Ich habe ein Fläschchen mit Riechsalz in meiner Tasche.«
»Ihr Sohn ist in die Gerüste gestürzt«, erklärte die Wache. »Bleibt hier mit Euren Kerzen. Ich werde Hilfe holen.«
Doch Angélique hob jäh den Kopf.
»Horcht!« flüsterte sie.
Aus der Ferne näherte sich überstürzter Galopp, der Galopp kleiner, roter Pagenabsätze. Gleich darauf tauchte aus dem auf der anderen Seite in die Halle mündenden Gang Florimond auf. Er wäre vorbeigerannt, ohne sie zu sehen, wäre der Wachtposten nicht so geistesgegenwärtig gewesen, ihn mit seiner Hellebarde aufzuhalten.
»Lasst mich! Lasst mich!« schrie Florimond. »Ich habe mich verspätet, ich muss schleunigst in der Küche bestellen, was Monsieur de Carapert mir aufgetragen
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