Angelique und der Koenig
Mauvoisin erkannte, begriff sie, was diese Szene zu bedeuten hatte. Schwankend wich sie zurück und musste sich an die Mauer lehnen. Barcarole ergriff ihre Hand und drückte sie heftig. Er flüsterte:
»Komm, du brauchst nichts zu befürchten. Sie können nicht wissen, dass du da bist.«
Eine zweite Frau löste sich aus dem dunklen Hintergrund und kniete neben der Mauvoisin nieder. Sie lüftete ihren Schleier, und Angélique erkannte die Montespan.
Der Singsang des Priesters war verstummt. Sich verbeugend, reichte er ihr ein Buch, auf das sie ihre Hände legte. Mit unsicherer, schülerhafter Stimme leierte sie eine Beschwörung herunter: »Im Namen Astorahs und Asmodees, der Fürsten der Freundschaft: Ich begehre die Freundschaft des Königs und des Dauphins. Sie bleibe mir erhalten, die Königin sei unfruchtbar, der König verlasse sein Bett und seinen Tisch um meinetwillen, meine Rivalinnen mögen zugrunde gehen…«
Angélique vermochte kaum ihren Ohren zu trauen. Wie konnte sich die kluge, stolze Athénaïs zu einer so finsteren Groteske hergeben? Doch das war ja nicht die Athénaïs, die sie kannte. Eine von ihren Leidenschaften um ihren Verstand gebrachte Frau war es, die den tieferen Sinn des grausigen Vorgangs nicht mehr erfasste.
Die aus Räucherbecken quellenden, den scharfen Geruch des Weihrauchs ausströmenden Dämpfe verdichteten sich, dann lösten sie sich zu einem leichten Nebel, der die Gesichter einhüllte und ihnen etwas Unwirkliches verlieh.
Madame de Montespans Stimme ließ sich vernehmen:
»Habt Ihr das Hemd?«
»Richtig, das Hemd!« sagte die Voisin und rieb sich im Aufstehen die Knie. »Wir haben uns große Mühe damit gegeben, Ihr werdet es merken. Ich habe es meiner Kleinen anvertraut, es liegt im Korb. Margot, bring den Korb.«
Ein etwa zwölfjähriges Mädchen tauchte aus dem Nebel auf, stellte einen Korb auf den Teppich und entnahm ihm behutsam ein Nachthemd aus rosa Schleiergewebe mit hauchzarten Silberstickereien.
»Gib acht, fass es möglichst wenig an. Nimm die Platanenblätter, die ich bereitgelegt habe…«
In ihrem Versteck ballte Angélique die Fäuste. Sie hatte in den Händen des Mädchens eines ihrer schönsten Hemden wiedererkannt.
»Thérèse!« rief jemand.
Angéliques Zofe erschien mit arroganter Miene.
»Nehmt das, Mädchen«, sagte die Voisin. »Und seht Euch vor. Ich gebe Euch ein paar Platanenblätter mit, damit Ihr das Hemd besser anfassen könnt... Lass den Korb offen, Margot, ich will noch etwas hineintun.«
Sie verschwand im hinteren Teil des Raums und kam mit einem kleinen Bündel blutbespritzter weißer Wäsche zurück.
Angélique vermochte kaum die Entsetzensschreie zu unterdrücken, die ihr über die Lippen wollten. Es traf also zu: Im wahnwitzigen Rausch dieser Schwarzen Messen wurden wirklich kleine Kinder gemordet!
Sie schloss die Augen: nichts mehr sehen, nichts mehr hören! Die trunkene Stimme des Priesters sagte:
»Gebt acht, dass die Wachen nicht in den Korb hineinschauen.«
Die Voisin erwiderte spöttisch lachend:
»Keine Gefahr. Die Protektion, die ich hier genieße, lässt sie eher Bücklinge vor mir machen, wenn sie mich vorbeikommen sehen.«
Plötzlich herrschte Stille. Angélique öffnete wieder die Augen. Alles war dunkel. Barcarole hatte die Tür geschlossen.
»Jetzt wissen wir genug. Und du bist nicht fähig, mehr zu ertragen. Machen wir uns aus dem Staub. Womöglich spürt uns die Ratte Bontemps auf, die des Nachts überall herumschnüffelt.«
In Angéliques Appartement zurückgekehrt, stellte er sich auf die Fußspitzen, um die Flasche Zwetschgenwasser zu erreichen und zwei Gläser vollzuschenken.
»Trink das. Siehst käsebleich aus. Bist nicht so daran gewöhnt wie ich. Zwei Jahre lang bin ich bei der Voisin Pförtner gewesen. Ich kenn’ sie genau. Schon mit neun Jahren hat sie angefangen, Chiromantie zu studieren. Sie hat mir gesagt, dass die meisten von denen, die unter dem Vorwand zu ihr kommen, sich aus der Hand lesen zu lassen, schließlich damit herausrücken, dass sie von jemand befreit werden möchten. Anfangs pflegte sie zu erwidern, die Leute, deren sie sich zu entledigen wünschten, würden sterben, wann es Gott gefiele. Doch weil man sie deswegen für ungeschickt hielt, hat sie ihre Taktik geändert. Und jetzt ist sie reich! Haha!«
Barcarole schnalzte mit der Zunge, nachdem er getrunken und sich von neuem eingeschenkt hatte.
»Was mir nicht behagt, ist diese Geschichte mit dem Hemd. Es gehört dir, wie?«
»Ja.«
»Hab’ ich mir
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