Angelique und der Koenig
Voluten erkennen konnte, während die Decke mit ihren tiefen Kassetten aus Gold und Ebenholz noch in Dunkel gehüllt blieb. Das Kristall der Kronleuchter tauchte aus ihm hervor, an unsichtbaren Schnüren hängende feenhafte Stalaktiten. An der Wand reflektierten drei Spiegel das allmählich eindringende Tageslicht. Die junge Frau lehnte sich an die Marmorverkleidung und blickte ins Freie. Auch der Park tauchte nun aus der Finsternis auf. Die schattenlose, mit feinem Sand bestreute Terrasse zu Füßen des Schlosses wirkte in ihrer Glätte wie ein Meeresstrand. Weiter drunten hüllten Nebelschwaden die hohen, zu strengen Formen gestutzten Hagebuchenhecken ein, deren Architektur eine Art Geisterstadt mit weißen und bläulichen Mauern bildete, hinter denen das Geheimnis der vollkommenen Gärten mit ihren kunstvollen Blumenboukets und grünschwarzen, von Schwänen lautlos durchzogenen Wasserflächen verborgen lag. Wenn die Sonne aufging, würde man hier und dort diese Gewässer glitzern sehen: die beiden Bassins der Terrasse, das der Latona, das einem silbernen Diskus gleichende des Apollon, dann das goldene Kreuz des Großen Kanals, an den andere stehende Gewässer grenzten, die der großen Moore, Domäne der Enten und Blässhühner, die sich bis zum Horizont erstreckten.
»Worüber sinnt Ihr, Marquise?«
Es war eine Flüsterstimme, deren Besitzer unsichtbar blieb. Angélique blickte sich vergeblich suchend um. So verwirrend es war – nur die Statue ihr gegenüber konnte das Wort an sie gerichtet haben.
»Worüber sinnt Ihr, Marquise?«
»Wer spricht denn?«
»Ich, Apoll, der Gott der Schönheit, dem zu dieser frühen Stunde Gesellschaft zu leisten Ihr die Liebenswürdigkeit habt.«
Unwillkürlich musste Angélique lächeln.
»Es ist hübsch kühl, nicht wahr?« fuhr die Stimme fort. »Ihr habt immerhin einen Mantel, aber ich, ich bin völlig nackt. Es ist nicht angenehm, einen Körper aus Marmor zu haben, müsst Ihr wissen.«
Angélique spähte hinter die Statue, aber auch dort entdeckte sie nichts. Nur ein am Sockel liegendes buntes Kleiderbündel erregte ihre Aufmerksamkeit. Sie beugte sich nieder, berührte es und fuhr erschrocken zusammen, denn das Bündel vollführte einen Bocksprung, und in einer Pirouette landete ein drolliger Gnom vor ihr, der nun die Kapuze herabzog, mit der er sein Gesicht verborgen hatte.
»Barcarole!« rief Angélique aus.
»Euch zu dienen, Marquise der Engel.« Der Zwerg verneigte sich zu einer tiefen Reverenz. Er war nicht größer als ein siebenjähriges Kind. Angesichts der Missförmigkeit des auf Stummelbeinen ruhenden untersetzten kleinen Körpers übersah man die Schönheit seines intelligenten Gesichts. Auf dem Kopf saß ihm ein mit Medaillen und Glöckchen besetzter Hut aus karmesinfarbener Atlasseide. Wams und Überrock waren aus dem gleichen Gewebe, halb karmesinfarben, halb schwarz, doch ohne Glöckchen und Zierat. Er trug Spitzenmanschetten und einen winzigen Degen.
Angélique war ihm lange nicht begegnet. Sie fand, dass er wie ein Edelmann aussehe, und sagte es ihm.
»Nicht wahr?« meinte Barcarole befriedigt. »Von der Größe abgesehen, kann ich’s, glaub’ ich, mit jedem der schönen Herren aufnehmen, die hier herumstolzieren. Ach, wenn unsere gute Königin mir die paar Glöckchen abnähme, die ich noch an meinem Hut trage, würde sie mir viel Freude machen. Aber sie behauptet, in Spanien trügen die Narren immer Glöckchen, und sie würde noch trauriger sein, wenn sie dieses kleine Geläute nicht mehr um sich habe. Übrigens werden wir noch um ein weiteres Privileg nachsuchen.«
»Um welches?«
»Die Perücke«, sagte Barcarole und rollte mit den Augen. Angélique musste lachen.
»Ich glaube, Ihr werdet eingebildet, Monsieur Barcarole.«
»Ich bemühe mich, aufzusteigen, mir einen Platz in der großen Welt zu erringen«, sagte der Zwerg selbstgefällig. Doch in seinem Blick, dem Blick eines reifen Mannes, glomm ein melancholischer, ironischer Funke.
»Ich freue mich sehr, dich wiederzusehen, Barcarole. Lass uns ein wenig plaudern.«
»Seid Ihr nicht um Euren guten Ruf besorgt? Man wird über uns lästern. Wenn Euer Gatte mich zum Duell fordert…?«
»Du hast einen Degen.«
»Allerdings. Einem tapferen Herzen ist nichts unmöglich. Ich werde Euch also den Hof machen, schöne Marquise. Aber schauen wir dabei durchs Fenster. Dann werden die Leute denken, wir bewundern die Gärten, und vermuten keine leidenschaftlichen Liebeserklärungen«, sagte Barcarole. Er trippelte
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