Angelique und der Koenig
letzten Jahre haben fremde Fahrzeuge, die den Hafen der Dauphine-Insel anliefen, zuweilen vom Skorbut heimgesuchte oder von den Eingeborenen verwundete Angehörige der Expedition an Bord genommen, die in die Heimat zurückgebracht zu werden wünschten.«
Ludwig streifte Colbert mit einem kalten Blick.
»Monsieur de Montevergue hat nicht weniger als zwei Jahre gebraucht, um mir die ersten Nachrichten zu schicken, obwohl er doch wusste, wie ungeduldig ich auf sie wartete.«
»Zwei Jahre! Das wäre ja noch schöner, wenn ich so lange auf Nachricht über das Schicksal meines Schiffes warten müsste!« warf Angélique, vom Thema gepackt, ein.
»Potztausend!« rief der König, der eine spontane Regung nicht unterdrücken konnte. »Wollt Ihr etwa behaupten, Madame, Eure Postverbindung sei besser organisiert als die des Königs von Frankreich?«
»In gewisser Hinsicht schon, Sire. Euer Majestät kann nur direkt verkehren. Und zwei Jahre sind nicht zuviel für den Hin- und Rückweg eines Schiffes. Die Kaufleute wissen sich da zu helfen. So habe ich einen Vertrag mit einer holländischen Schiffahrtsgesellschaft abgeschlossen; wenn eines ihrer Fahrzeuge das meinige kreuzt, übernimmt es die Briefe.«
»Immer diese Holländer!« sagte der König verstimmt.
»Die französischen Reeder scheinen ihrer Bequemlichkeit zuliebe ein Geschäftsgebaren normal zu finden, das dem Verrat am Königreich ziemlich nahe kommt.«
»Verrat! Das Wort ist ein bisschen stark, Sire. Befinden wir uns im Krieg mit den Niederlanden?«
»Das allerdings nicht. Aber da ist eine Sache, die mich mehr beunruhigt, als ich zu sagen vermag, Monsieur Colbert. Dass Frankreich, ausgerechnet Frankreich, auf dem Gebiet der Seefahrt diesen Heringsverkäufern unterlegen ist. Schließlich hatte die französische Marine zu Zeiten meines Großvaters, Heinrichs IV, einen glänzenden Ruf. Damals war ihr Prestige so groß, dass Engländer, Holländer, ja sogar Venezianer die französische Flagge benutzten, wenn sie durchs Mittelmeer fuhren, um der Sicherheit willen, die sie ihnen gewährte.«
»Eure Marine zählte damals über tausend Einheiten allein im Mittelmeer«, bemerkte Colbert.
»Und heute?«
»Fünfzig Schiffe mit je vierundzwanzig bis hundertzwanzig Kanonen, ein paar Fregatten, Branderschiffe, Fleutschiffe und zwölf Galeeren.«
Betroffen lehnte sich der König zurück. Er versank in Nachdenken, sein Blick ging ins Leere. Sein Kopf mit dem üppigen braunen Haar – er trug keine Perücke – hob sich vom Blau der Rücklehne ab, die mit einer goldenen Krone zwischen Lilien bestickt war.
»Ich brauche Euch nicht nach den Gründen zu fragen, die uns in diese unerfreuliche Lage gebracht haben«, sagte er endlich. »Ich kenne sie nur zu genau. Wir haben noch längst nicht alle Übel beseitigt, die so viele Jahre Misswirtschaft erzeugt haben. Ich war noch sehr jung, als ich mein Augenmerk auf die verschiedenen Gebiete des Staatslebens zu richten begann. Und die Feststellung hat mich tief beeindruckt, dass es keines gab, das nicht meines sofortigen Eingreifens bedurft hätte. Überall herrschte Unordnung. Ich nahm mir vor, mich vor Ungeduld zu hüten und mich zunächst an die dringendsten Aufgaben zu machen. Die Jahre sind vergangen. Viele ungebärdige Ströme beginnen in ihr Bett zurückzukehren. Dies ist der Augenblick, uns mit der Marine zu befassen, Monsieur Colbert.«
»Ich werde es tun, Sire, und mit um so größerem Eifer, als der Aufschwung des Handels davon abhängt.«
Der König hatte sich erhoben. Der Minister verneigte sich und war im Begriff, rückwärtsgehend den Raum zu verlassen, wobei er alle drei Schritte stehen blieb, um sich neuerlich zu verbeugen.
»Eins noch, Monsieur Colbert«, hielt der König ihn auf. »Verübelt mir nicht, was ich Euch sagen werde, und betrachtet es als Zeichen des Interesses und der Freundschaft, die ich für Euch empfinde. Aber im Hinblick auf das hohe Amt, das Ihr bekleidet, würde ich mich freuen, wenn Ihr etwas mehr auf Euer Äußeres achten wolltet.«
Der Minister griff sich verlegen an das unrasierte Kinn.
»Euer Majestät wolle mir verzeihen und berücksichtigen, wie wenig Zeit mir neben derjenigen bleibt, die ich dem Staatsdienst widme. Ich habe einen Teil der Nacht über diesem Bericht des Monsieur de Montevergue verbracht. Da ich überdies erst am Morgen erfuhr, dass Euer Majestät sich noch in Versailles befindet, musste ich meine Wohnung in aller Eile verlassen.«
»Ich weiß, dass allein Eure Ergebenheit daran schuld
Weitere Kostenlose Bücher