Angelique und der Koenig
darum, etwas zwischen die Zähne zu bekommen und sich während des Nachmittags irgendwo, wo sich eine Möglichkeit dazu bot, von den Strapazen der durchwachten Nacht und des Vormittags zu erholen. Mit einem Lächeln verabschiedete sie sich daher von Madame de Choisy und verließ unauffällig den Bankettsaal. Erst bei der für den Abend angesagten Komödie würde sie wieder in Erscheinung treten müssen, um ihre Pläne zu fördern. Als sie abends die große Galerie im Erdgeschoss betrat, in der die Bühne aufgeschlagen worden war, hatten der König und die Königin bereits Platz genommen.
Beim Anblick Maria-Theresias musste Angélique daran denken, wie sie die Infantin am Abend ihrer Hochzeit mit dem König in Saint Jean de Luz gesehen hatte. Wo waren die weißblonden, seidigen Haare geblieben, die schweren spanischen, über dem längst aus der Mode gekommenen Hüftwulst sich bauschenden Röcke? Die Monarchin war jetzt auf französische Art frisiert und gekleidet, doch dieser Stil passte nicht zu ihrer rundlichen Figur. Ihr zarter Teint, dessen Blässe die düsteren Madrider Paläste bewahrt hatten, war unrein geworden, mancherlei Enttäuschungen an der Seite des Königs hatten Spuren in ihrem Gesicht hinterlassen, aber die natürliche Majestät dieser armen, kleinen, so unvorteilhaft aussehenden Person war noch immer verblüffend. Die strenge Etikette verbot Angélique, sich zu setzen. Sie stand so weit hinten, dass sie kaum zu erkennen vermochte, was sich auf der Bühne abspielte.
»Was meint Ihr zu der Lektion, die Monsieur Molière uns erteilt?« flüsterte da plötzlich eine Stimme an ihrem Ohr. »Ist sie nicht höchst lehrreich?«
Die Stimme klang so liebenswürdig, dass Angélique zu träumen glaubte, als sie Philippe erkannte, der in einem Gewand aus silberdurchwirktem rosafarbenem Atlas, das zu tragen, ohne lächerlich zu wirken, nur er sich leisten konnte, neben ihr stand. Er lächelte. Angélique gab sich Mühe, ungezwungen zu antworten:
»Monsieur Molières Lektion ist bestimmt höchst kurios, aber ich muss gestehen, dass ich von hier aus nicht viel mitbekomme.«
»Das ist sehr schade. Lasst mich Euch helfen, ein paar Reihen weiter nach vorn zu gelangen.«
Er fasste sie um die Hüfte und zog sie mit sich. Da jedermann wusste, in welcher Gunst Philippe beim König stand, machte man ihnen bereitwillig Platz. Überdies gewährte ihm sein Rang als Marschall mancherlei Vorrechte. So durfte er mit seiner Kutsche in den Hof des Louvre fahren und sich im Angesicht des Königs setzen. Seine Frau indessen genoss diese Rechte nicht.
Mühelos fanden sie rechts von der Bühne Platz. Freilich mussten sie stehen, aber man verstand ausgezeichnet.
»Hier sind wir richtig«, sagte Philippe. »Wir sehen, was auf der Bühne vorgeht, und der König sieht uns. Vorzüglich.«
Er hatte seine Hand nicht von Angéliques Taille genommen; nun neigte er sein Gesicht näher zu ihrem, und sie spürte, wie seine seidige Perücke ihre Wange streifte.
»Müsst Ihr mich unbedingt so eng an Euch pressen?« fragte sie leise in sachlichem Ton, da sie nach einigem Überlegen das ungewohnte Verhalten ihres Gatten höchst verdächtig fand.
»Unbedingt. Euer Boshaftigkeit hat es für angebracht gehalten, den König mit in ihr Spiel zu ziehen. Ich möchte nicht, dass er an meinem guten Willen zweifelt. Sein Wunsch ist mir Befehl.«
»Ah! Deshalb also?« sagte sie und wandte ihm ihr Gesicht zu.
»Deshalb... Starrt mir nur noch ein paar Sekunden so ins Gesicht. Niemand wird mehr daran zweifeln, dass Monsieur und Madame du Plessis-Bellière sich wieder ausgesöhnt haben.«
»Ist das so wichtig?«
»Der König wünscht es.«
»Oh! Ihr seid …«
»Verhaltet Euch ruhig.« Sein Arm war zu einem wahren Eisenring geworden, während sein Ton gemessen blieb.
»Ihr erstickt mich, Rohling, der Ihr seid!«
»Das würde mir das größte Vergnügen bereiten. Nur Geduld, vielleicht findet sich auch dazu Gelegenheit. Nur ist dies weder der Tag noch die Stunde. Seht, da gibt Arnolphe Agnes die elf Regeln des Ehestands zu lesen. Passt genau auf, Madame, ich bitte Euch.«
Das Stück, das man da agierte, war noch nicht öffentlich aufgeführt worden. Der König hatte das Vorrecht, es als erster zu sehen. Auf der Bühne übergab Arnolphe, im Begriff zu heiraten, eben seiner zukünftigen Frau ein dickes Buch:
»Ich habe hier ein Schriftstück von Gewicht,
drin steht, was einer Frau zu tun gebühre.
Der’s schrieb, ist sicher eine fromme Haut;
drum bild es deine einzige
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