Angelique und der Koenig
verschwunden. Desgleichen die ›Wiegefrau‹ und die Kleine, die die Binden wickelt. Überhaupt das ganze Personal Monsieur Charles-Henris.«
Angélique schlug wortlos ihre Decken zurück und begann sich anzuziehen.
»Madame«, greinte Barbe, »Ihr seid wahnwitzig! Eine vornehme Dame, die vor sechs Tagen niedergekommen ist, darf nicht aufstehen.«
»Warum bist du dann zu mir gekommen? Vermutlich doch, damit ich etwas unternehme? Vorausgesetzt, dass an diesem Ammenmärchen etwas Wahres ist. Aber ich habe dich sehr im Verdacht, dass du wieder einmal einer gewissen Neigung zum Weinkrug nachgegeben hast. Seitdem der Abbé die Jungen unter seine Obhut genommen hat, bist du nicht mehr aus der Speisekammer herauszukriegen. Der Müßiggang bekommt dir nicht.«
Sie musste sich indes vom Augenschein überzeugen lassen: die gute Barbe war vollkommen nüchtern. Das Zimmer des Babys erwies sich als leer. Seine Wiege, die Lade mit seiner Kleidung und seinen Windeln, seine ersten Spielsachen und sogar das Fläschchen Wermutöl samt der Schnittlauchcreme, mit der die Amme ihm den Nabel einrieb, waren verschwunden. Die von Barbe zusammengerufenen Dienstboten drängten sich bestürzt vor der Tür. Angélique stellte ein Verhör an. Seit wann hatte man die Amme mit ihren Gehilfinnen nicht mehr gesehen? Am Vormittag noch war die Kleine in die Küche gekommen, um eine Wanne mit heißem Wasser zu holen. Die drei Betreuerinnen des kleinen Herrn hatten wie üblich ausgiebig zu Mittag gespeist. Danach waren sie nicht mehr in Erscheinung getreten. Es wurde festgestellt, dass während dieser Zeit, in der sich die Dienerschaft ihrer Verdauungsmüdigkeit hinzugeben pflegte, der Portier zu einer Kegelpartie mit den Stallknechten in den an der Hinterfront des Hauses gelegenen Hof gegangen war. Die Pförtnerloge und der Vorderhof waren daher während einer guten Stunde ohne Aufsicht gewesen. Zeit genug, um drei Frauen, von denen eine ein Baby, die andere eine Wiege, die letzte eine Lade mit Wickelzeug unter dem Arm trug, Gelegenheit zum Verschwinden zu geben.
Der Pförtner schwor, die Kegelpartie habe nur eine Viertelstunde gedauert.
»Also hast du mit diesen Schurken unter einer Decke gesteckt«, sagte Angélique ihm auf den Kopf zu und stellte ihm eine Tracht Prügel in Aussicht, was noch keinem ihrer Bedienten widerfahren war. Während die Zeit verstrich, fielen ihr immer grausigere Geschichten von entführten und geopferten Kindern ein. Die Amme war ihr von Madame de Sévigné empfohlen worden, die sie als aufrichtig und willig bezeichnet hatte. Aber konnte man sich auf dieses Dienstbotengesindel verlassen, das mit einem Bein im Haus der Herrschaft und mit dem andern in der Gaunerzunft stand?
Während sie noch die verschiedenen Möglichkeiten erwog, kam Flipot herbeigelaufen und schrie, er wisse alles. Mit dem Spürsinn des ehemaligen »Lehrlings« des Hofs der Wunder hatte er sofort die richtige Fährte gefunden. Charles-Henri du Plessis-Bellière war ganz einfach samt seinem »Hofstaat« zu seinem Herrn Vater in die Rue du Faubourg Saint-Antoine übergesiedelt.
»Der Herr Marquis hat Anweisung gegeben…«
Natürlich! Genauso, wie er kürzlich Anweisung gegeben hatte, ihre Kutschen und Pferde wegzuschaffen und sie selbst bei Nacht und Nebel zu entführen und in ein Kloster einzusperren.
»Verwünschter Philippe!«
Sie konnte nicht heucheln vor diesen Leuten, die sie fünf Minuten vorher noch zutiefst geängstigt gesehen hatten. So ließ sie ihrem Zorn freien Lauf. Und um sie für sich zu gewinnen, sagt sie ihnen, man werde die Gelegenheit nutzen, das unverschämte Bedientenpack des Marquis de Plessis zu verprügeln, das sie als »Diener einer Handelsfrau« behandle, obwohl sie ebenso wie die andern das Recht auf die gemsfarbene und blaue Livree des Hauses hätten und ihre Herrin vom König empfangen und ausgezeichnet werde…
Sie hieß einen jeden, sich zu bewaffnen, und vom letzten Küchenjungen bis zum Abbé machten sich alle, mit Stöcken, Hellebarden oder Degen versehen, auf den Weg nach dem Faubourg Saint-Antoine. Angélique ließ sich in ihrer Sänfte tragen. Es war ein ansehnlicher Haufe, der einiges Aufsehen auf seinem Wege erregte. Die Leute des Stadtviertels, lüstern nach solchen durchaus nicht seltenen Streitigkeiten zwischen den Dienerschaften verschiedener Häuser, folgten dem Zug begeistert. Der aufgestachelte Volkszorn brandete gegen das schwarze Eichenportal des Hôtels du Plessis. Der Pförtner versuchte durch das
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