Angelique und der Koenig
vergitterte Fenster seiner Loge zu parlamentieren. Er habe Anweisung vom Herrn Marquis, niemand aufzumachen, erklärte er. Niemand, ohne jede Ausnahme und den ganzen Tag über.
»Öffne deiner Herrin!« brüllte Malbrant Schwertstreich, indem er zwei Feuerwerkskörper schwang, die zur Verblüffung aller aus seinen Rockschößen aufgetaucht waren. »Sonst lege ich, auf Schwertstreichs Ehre, diese beiden ›Sterne‹ unter deine Nase und lasse das Hoftor samt deiner Loge in die Luft fliegen.«
Racan hatte bereits einen langen Zündstock in Brand gesetzt. Verängstigt gestand der Pförtner zu, er werde der Frau Marquise unter der Bedingung die Seitentür öffnen, dass das sonstige Lumpenpack draußen bleibe. Auf Angéliques Versprechen hin, dass man nicht gewaltsam eindringen werde, öffnete er die Tür um Spaltbreite, und sie schlüpfte, von den Demoisellen de Gilandon gefolgt, ins Palais. Im oberen Stockwerk fand sie die Ausreißer ohne sonderliche Mühe. Sie ohrfeigte die Amme, bemächtigte sich des Kindchens und war schon dabei, wieder hinunterzugehen, als sich La Violette vor ihr aufpflanzte. Nur über seine Leiche werde der Sohn des Herrn Marquis das Haus seines Vaters verlassen. Das habe er bei allem, was ihm heilig sei, geschworen. Als Angélique ihn im Dialekt des Poitou, ihrer gemeinsamen Heimat, anfuhr, verlor der anmaßende Bediente die Fassung. Er warf sich vor ihr auf die Knie und beschwor sie mit tränenerstickter Stimme, sich seiner zu erbarmen. Der Herr Marquis habe ihm die schlimmsten Bestrafungen angedroht, falls er zulasse, dass das Kind weggebracht werde. Unter anderem seine sofortige Entlassung. Und das wäre doch unausdenkbar. Seit Jahren sei er beim Herrn Marquis. Sie hätten gemeinsam im Wald von Nieul ihr erstes Eichhörnchen mit der Schleuder gejagt. Er habe ihn auf allen Feldzügen begleitet. Unterdessen galoppierte ein Lakai in gemsfarbener und blauer Livree über die Straße nach Saint-Germain, in der Hoffnung, den Marquis zu erreichen, bevor seine Diener und die seiner Frau in Paris einander umgebracht hätten. Man musste Zeit gewinnen. Der Hausgeistliche des Marquis erschien, um die beraubte Mutter zur Vernunft zu bringen. Als auch das nichts half, wurde der Intendant der Familie, Monsieur Molines, herbeigerufen. Angélique hatte nicht gewusst, dass er sich in Paris aufhielt. Als sie seine trotz des weiß gewordenen Haars noch immer aufrechte und straffe Gestalt erkannte, wich ihr Zorn. Mit Molines würde man sich verständigen können. Der Intendant bat sie, am Kamin Platz zu nehmen. Er beglückwünschte sie zu dem hübschen Kind und gab seiner Freude Ausdruck, dass dem Hause seines Herrn ein Erbe geboren worden sei.
»Aber er will ihn mir wegnehmen!«
»Es ist sein Sohn, Madame. Und glaubt mir, ich habe noch nie erlebt, dass ein Mann seiner Wesensart so unsinnig glücklich ist, einen Sohn zu haben.«
»Ihr verteidigt ihn immer«, sagte Angélique verärgert.
»Ich kann mir schwer vorstellen, dass er über irgend etwas glücklich ist, es sei denn über den Kummer, den er anderen zufügt. Seine Boshaftigkeit übertrifft bei weitem das schon recht düstere Bild, das Ihr mir damals von ihm entworfen habt.«
Gleichwohl erklärte sie sich bereit, ihre Leute nach Hause zu schicken und sich bis zur Rückkehr ihres Gatten zu gedulden, unter der Bedingung allerdings, dass Molines als unparteiischer Schiedsrichter fungiere. Als bei Einbruch der Dunkelheit Philippe mit klirrenden Sporen eintrat, fand er Angélique und den Verwalter in freundschaftlicher Unterhaltung am Kamin. Zärtlich umfangen, saugte der kleine Charles-Henri gierig an der Mutterbrust. Die flackernden Flammen warfen warme Reflexe auf den weißen, vollen Busen der jungen Frau, und dieses Schauspiel verblüffte den Edelmann so sehr, dass Molines Zeit fand, sich zu erheben und als erster das Wort zu ergreifen. Er berichtete, wie fassungslos Madame du Plessis über das Verschwinden ihres Kindes gewesen sei. Ob Monsieur du Plessis denn nicht wisse, dass es von seiner Mutter gestillt werden müsse? Die Gesundheit des Kindchens sei nicht so blühend, wie sein Aussehen vermuten lasse. Wenn man es der Muttermilch beraube, gefährde man sein Leben. Was Madame du Plessis betreffe – ob der Herr Marquis denn nicht wisse, dass sie Gefahr laufe, das Kindbettfieber zu bekommen? Das sei die mindeste Unannehmlichkeit, die ein jähes Abstillen bewirken werde. Nun, Philippe wusste von alledem nichts. Solche Überlegungen lagen ihm allzu fern. Er
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