Angelique und der Koenig
Schiffe bis nach Sumatra und Java fuhren, während die kümmerliche französische Flotte auf dem Gebiet des Handels überall ins Hintertreffen geraten war. Um den französischen Werften den nötigen Spielraum zum Bau von Schiffen zu geben, musste man Holland ruinieren. Aber dieses letztere Ziel bekannte Ludwig XIV nicht. Es war ein Geheimnis zwischen Colbert und ihm.
In strömendem Regen rollten Kutschen und Bagagewagen auf Landstraßen dahin, über die kurz zuvor das Fußvolk, die Artillerie und die Kavallerie der Armee gezogen waren. Sie strotzten von Schlamm und Pfützen.
Angélique fuhr in der Kutsche Mademoiselle de Montpensiers. Die Prinzessin hatte ihr aufs neue ihre Freundschaft zugewandt, seitdem Monsieur de Lauzun aus der Bastille entlassen und wieder in Gnaden aufgenommen worden war. Als an einer Wegkreuzung eine Stockung eintrat, beugte sie sich hinaus und erfuhr, dass die Kutsche der Damen der Königin umgestürzt sei. Am Wegrand entdeckte sie Madame de Montespan und winkte sie heran.
»Steigt bei uns ein. Wir haben Platz.«
Die junge Frau näherte sich, von Pfütze zu Pfütze springend, den dritten Rock zum Schutz gegen den Regen über den Kopf geschlagen. Lachend schlüpfte sie in die Kutsche. »Ich habe noch nie etwas so Komisches wie Monsieur de Lauzun gesehen«, erzählte sie, während sie sich neben Angélique niederließ.
»Der König hält ihn seit zwei Stunden an seinem Wagenschlag. Seine Perücke ist dermaßen durchnässt, dass er sie schließlich abgenommen hat.«
»Wie schrecklich!« rief Mademoiselle entsetzt. »Er wird sich erkälten.«
Sie trieb den Kutscher zur Eile an, so dass es ihr gelang, an der nächsten Biegung den Wagen des Königs zu erreichen. Tatsächlich, Lauzun hockte triefend auf seinem Pferd und sah aus wie ein gerupfter Sperling.
Mit pathetischer Stimme legte sich Mademoiselle für ihn ins Mittel:
»Vetter, habt Ihr denn kein Herz im Leibe? Ihr setzt diesen unglücklichen Edelmann der Gefahr aus, sich das Wechselfieber zu holen! Wenn Ihr für Mitleid unzugänglich seid, bedenkt wenigstens, welchen Verlust Ihr durch den Tod eines Eurer tüchtigsten Diener erleiden würdet.«
Der König hatte seine Lorgnette aus Ebenholz und Gold vor die Augen gehoben. Angélique folgte interessiert seinem Blick. Sie hielten auf einer leichten Anhöhe, die die braune und nasse pikardische Ebene beherrschte. Eine kleine, von zinnenbewehrten Mauern umschlossene Stadt hob sich vom grauen Himmel ab. Hinter dem Regenschleier wirkte sie tot wie ein Wrack auf dem Meeresgrund. Der französische Laufgraben umgab sie in unbarmherzigem Kreis. Ein zweiter Graben hinter dem ersten war nahezu vollendet. Im Hintergrund schleuderten auf die Stadt feuernde Kanonen rötliche Blitze in die Dämmerung. Der Wind trug das Geräusch der Detonationen herüber. Endlich ließ der König seine Lorgnette sinken.
»Ihr seid sehr beredt, Kusine«, sagte er bedächtig, »aber Ihr wählt für Eure Expektorationen stets den falschen Augenblick. Ich glaube, die feindliche Besatzung wird sich ergeben.«
Er erteilte Lauzun den Befehl, das Feuer einstellen zu lassen, und der Marquis galoppierte davon. Am Tor der Zitadelle war tatsächlich eine Bewegung zu erkennen.
»Ich sehe die weiße Fahne!« rief die Grande Mademoiselle und klatschte entzückt in die Hände. »In drei Tagen, Sire! Ihr habt diese Stadt in drei Tagen genommen! Ich hatte keine Ahnung, wie aufregend ein Krieg sein kann!«
Während abends im eroberten Städtchen das Freudengeschrei der Einwohner an die Türen des Hauses brandete, in dem die Königin sich einquartiert hatte, trat Monsieur de Lauzun zu Mademoiselle und brachte in wohlgesetzten Worten seine Dankbarkeit für ihre Fürsprache zum Ausdruck. Die Grande Mademoiselle lächelte errötend. Sie bat die Königin, den Spieltisch verlassen zu dürfen, ließ Angélique als Vertretung zurück und drängte Lauzun in eine Fensternische. Die glänzenden Augen zu ihm erhoben, trank sie begierig seine Worte. Im gedämpften Licht eines auf einer Konsole stehenden Leuchters wirkte sie geradezu jung und hübsch.
»Mein Gott, sie ist ja verliebt!« dachte Angélique gerührt.
Lauzun hatte seine Verführermiene aufgesetzt, ohne jedoch die geziemende Dosis Respekt zu vergessen, die er der Prinzessin schuldig war. Dieser verteufelte Péguillin! In was für ein Abenteuer würde er sich da wieder verstricken, wenn er das Herz einer Enkelin Heinrichs IV. an sich fesselte!
Der Raum war überfüllt, aber still. Es wurde an vier
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