Angels - Meine Rache waehrt ewig
E-Mail-Adresse, unter der Sie erreichbar sind, nur für den Fall, dass es zu einer Verwechslung kommt.«
Kristi gab ihr Handy nur ungern ab, aber wenn sie das Stück sehen wollte, blieb ihr keine andere Wahl. Sie füllte den Zettel aus, behielt eine Hälfte des Abholscheins und schnappte sich ihre Handtasche, überrascht, dass ihr Pfefferspray nicht konfisziert worden war. Dann eilte sie ins Auditorium, wo die Temperatur um gefühlte zwanzig Grad höher zu sein schien. Die Leute saßen dicht an dicht in den Sitzreihen, aber es gelang ihr, in einem Seitengang einen Klappstuhl zu ergattern. O, die bereits ihre Handtasche vor ihre Füße stellte, saß ganz in der Nähe und hatte die Augen auf die Bühne gerichtet. Verblasste Samtvorhänge, einst von einem tiefen Weinrot, waren vor die Bühne gezogen worden, die Deckenbeleuchtung war spärlich. Das Auditorium fasste etwa fünfzig Personen, aber heute Abend saßen hier etwa fünfundsechzig. Die Heizung bullerte, und über allem dudelte mittelalterliche Flötenmusik und übertönte das Flüstern und Rascheln der Menge.
Ein Mann auf dem Stuhl vor Kristi hatte zu viel Aftershave aufgetragen, vermutlich um den Marihuanageruch zu überdecken, der an ihm haftete. Der Old-Spice-Trick funktionierte nicht, er unterstrich nur den süßlichen Duft.
Sekundenlang ertönte das kreischende Geräusch einer Rückkopplung, dann war es plötzlich still. Kristi blickte sich um und entdeckte vertraute Gesichter, Leute aus ihren Englischseminaren. An der Rückseite des Raums las Hiram Calloway eifrig sein Programm. Sie fragte sich, ob er sie hintergangen und ihren Schlüssel an jemanden weitergereicht hatte oder ob er es war, der ihr Apartment videoüberwachte. Bei dem Gedanken errötete sie und warf ihm vernichtende Blicke zu. Als hätte er gespürt, dass sie ihn ansah, hob er den Kopf und entdeckte sie. Schnell vergrub er die Nase wieder in seinem Programmheft.
Nein! Hiram schien nicht in Frage zu kommen. Er wirkte ein wenig schwammig, wie ein ehemaliger Football-Spieler, der aus dem Leim gegangen war, und sie selbst war sportlich und ziemlich schnell. Sie hätte Hiram also bestimmt erwischt, wenn er es gewesen wäre, den sie durch die Nacht gejagt hatte.
Sie starrte Hiram an, der gar nicht daran dachte, noch mal in ihre Richtung zu blicken.
Loser,
dachte Kristi und ließ ihre Augen durch das Auditorium schweifen. Sie entdeckte Grace weiter vorn, aber weder Lucretia noch Ariel waren zu sehen. Kristi warf einen Blick in ihr Programmheft. Vielleicht spielte Ariel in dem Stück mit. Doch sie war nicht aufgeführt, weder als Schauspielerin noch als jemand, der hinter den Kulissen arbeitete. Dr. Croft als Leiterin des English Department wurde erwähnt und natürlich Vater Mathias, zusammen mit Dr. Grotto als »Berater«, was immer das bedeuten sollte. Zena Regent hatte die Rolle der Werke übernommen, wenngleich Werke bei Jedermann rar waren, während Robert Manning – ein afroamerikanischer Student, der in mehreren von Kristis Seminaren war – Gott den Herrn spielte. Gertrude Sykes spielte den Tod. Unten auf der Seite wurde Mai Kwan erwähnt, die das Programmheft entworfen und bei Werbung und Presse mitgewirkt hatte.
Mai hatte nie erwähnt, dass sie etwas mit dem Drama Department zu tun hatte, aber Kristi hatte sich auch nicht weiter nach ihren Kursen oder Interessen erkundigt. Sie wusste ohnehin nur wenig über ihre Nachbarin, außer dass sie eine neugierige Journalistikstudentin war, die Tara Atwater gekannt hatte und sich vor dem Wäschekeller fürchtete.
Die Lichter flackerten, und binnen weniger Minuten war es dunkel. Alles wurde still, ein Scheinwerfer leuchtete auf, und Vater Mathias begann mit der Einleitung.
Kristi hatte das Stück noch nie gesehen, aber auf der Highschool gelesen. Die Hauptperson war dieser Jedermann als Stellvertreter sämtlicher Männer und Frauen auf der Erde, die sich dem weltlichen Besitz verschrieben haben. Als der Tod nach Jedermann ruft, erkennt dieser, dass er in Wahrheit gar nichts hat. Verzweifelt sucht er nach jemandem, der ihn auf seiner Reise ins Jenseits begleitet, und wendet sich an Werke, Glaube und andere, die ihm diesen Gefallen erweisen könnten.
Doch Kristi war weniger an dem Stück interessiert als vielmehr an den Schauspielern, die die Rollen verkörperten. Sie erkannte Lucretias Freundin Trudie – im Programmheft »Gertrude« – als Tod, doch Gute-Werke-Zena strahlte die größte Bühnenpräsenz aus. Auch ein paar andere
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