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Angerichtet

Angerichtet

Titel: Angerichtet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Koch
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erzählen? Was wir gemeinsam gemacht haben?«
    »Ja«, piepste er.
    Als ich aufstand, dachte ich, ich würde tatsächlich etwas knacken hören, im Rückgrat oder noch tiefer. Ich nahm ihn bei der Hand, und wir gingen weiter. An der Straßenecke kurz vor unserem Haus bemerkte ich, dass sein Gesicht noch immer nass und gerötet war, aber er weinte nicht mehr.
    »Hast du gesehen, was für eine Angst der Kerl bekommen hat?«, sagte ich. »Wir brauchten fast nichts zu tun. Seinetwegen hätten wir noch nicht einmal die Scheibe bezahlen müssen. Aber das gehört sich nicht. Wenn man etwas kaputt macht, auch wenn es unbeabsichtigt war, dann bezahlt man einfach den Schaden.«
    Michel sagte nichts, bis wir bei unserer Haustür angekommen waren.
    »Papa?«
    »Ja.«
    »Wolltest du den Herrn wirklich schlagen? Mit der Fahrradpumpe?«
    Ich hatte den Schlüssel bereits ins Schloss gesteckt, aber jetzt ging ich erneut vor ihm in die Hocke. »Hör mal zu«, sagte ich. »Der Mann ist kein Herr. Der Mann ist einfach ein Stück Dreck, das Fußball spielende Kinder nicht ausstehen kann. Es geht nicht darum, ob ich ihm mit der Luftpumpe wirklich eins über die Rübe ziehen wollte. Und wenn, dann hätte er es verdient gehabt. Nein, es geht darum, dass er wirklich geglaubt hat, ich würde ihn schlagen wollen, das war schon ausreichend.«
    Michel blickte mich ernst an; ich hatte meine Worte vorsichtig gewählt, damit er nicht noch einmal zu heulen anfing. Aber seine Augen waren trocken, er hörte aufmerksam zu und nickte dann mit dem Kopf.
    Ich nahm ihn in die Arme und drückte ihn an mich. »Sollen wir das mit der Luftpumpe Mama nicht erzählen?«, fragte ich. »Sollen wir das als unser Geheimnis behalten?«
    Wieder nickte er.
    Am Nachmittag ging er mit Claire in die Stadt, um etwas zum Anziehen zu kaufen. Abends bei Tisch war er stiller und ernster als sonst. Ich zwinkerte ihm einmal zu, aber er zwinkerte nicht zurück.
    Als es für ihn Zeit war, ins Bett zu gehen, saß Claire gerade auf dem Sofa und schaute sich einen Film an, den sie gerne sehen wollte.
    »Schau du nur ruhig, ich bring ihn ins Bett.«
    Und dann lagen wir nebeneinander im Bett und plauderten noch ein bisschen: harmloses Geplauder, über Fußball und ein neues Computerspiel, für das er sparte. Ich hatte mir vorgenommen, die Geschichte im Fahrradladen nicht mehr anzusprechen, solange er nicht selbst davon anfinge.
    Ich gab ihm einen Gutenachtkuss und wollte das Licht schon ausmachen, als er sich zu mir hindrehte und mir die Arme um den Hals schlang.
    Er brachte Kraft auf, so viel Kraft, wie er sie noch nie bei einer Umarmung aufgebracht hatte, und drückte den Kopf an meine Brust.
    »Papa«, sagte er. »Lieber Papa.«

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    23
    »Weißt du, was das Beste ist?«, fragte ich ihn an dem Abend in seinem Zimmer, nachdem er mir die ganze Geschichte erzählt und mir nochmals nachdrücklich versichert hatte, Rick und er hätten niemals vorgehabt, jemanden anzuzünden. »Es war ein Streich«, sagte er. »Es war auch …« – er machte ein angewidertes Gesicht –, »du hättest das mal riechen müssen«, sagte er.
    Ich nickte, meinen Entschluss hatte ich bereits damals gefasst. Ich tat das Einzige, was ein Vater meiner Meinung nach tun kann: Ich versetzte mich in die Lage meines Sohnes. Ich versuchte nachzuempfinden, wie es war auf dem Heimweg vom Schulfest, er zusammen mit Rick und Beau. Und wie sie Geld ziehen wollten – wie sie zu dem Automatenhäuschen kamen und sahen, dass da jemand lag.
    Ich versetzte mich in ihn hinein. Ich malte mir aus, wie ich auf ein lebendes Wesen in einem Schlafsack reagiert hätte, das in dem Häuschen im Weg lag; auf den Gestank; auf die simple Tatsache, dass jemand, ein Mensch (ich verwende jetzt extra keine Ausdrücke wie Obdachloser oder Penner, sondern Mensch), der Meinung ist, Geldautomatenhäuschen würden sich als Schlafstelle eignen; ein Mensch, der empört reagiert, wenn zwei Jungen ihn jedoch vom Gegenteil überzeugen wollen; ein Mensch, der anfängt zu stänkern, wenn er im Schlaf gestört wird; kurz, eine anmaßende Haltung; eine Haltung,wie man sie von Leuten kennt, die glauben, irgendwo ein Recht drauf zu haben.
    Hatte Michel mir nicht erzählt, die Frau habe »gepflegt« geklungen? Ein gepflegter Akzent, eine gute Familie, eine ordentliche Herkunft. Bislang hatte man wenig über die Herkunft der obdachlosen Frau erfahren. Vielleicht nicht ganz ohne Grund. Vielleicht handelte es sich um das schwarze Schaf einer wohlhabenden

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