Angriff der Killerkekse. Unglaubliche Reportagen und atemlose Geschichten (German Edition)
gegen die Wand des engen Kabinetts. Das leicht gebaute Kabinchen wackelt bedrohlich. Die Andeutung eines Schemels steht im Weg. Im Spiegel erblickt er sich und erkennt, dass er sein Hemd am Morgen liederlich in den Hosenbund gestopft hat. Er spürt die Hitze der grellen Scheinwerfer, die jeden Winkel der Probierstube ausleuchten. Kalter Schweiß perlt seinen Rücken hinunter. Bloß schnell weg von hier!
Schulze schimpft. Er nestelt an Schnallen, Knöpfen und Verschlüssen. Er dankt sich selbst, in weiser Voraussicht leichtes Schuhwerk angezogen zu haben. So kann er ohne Bücken und Schnüren aus den bequemen Tretern schlüpfen. Die Slipper fliegen in die Ecke, er streift die alten Buxen ab und versucht, sie halbwegs ordentlich auf den Schemel zu legen. Dann greift er zu einem der neuen Teile und spürt es schon: das wird zu eng. Sinnloses Bemühen, aber er muss sich den kontrollierenden Instanzen zeigen.
Schulze flucht. Jede Legehenne hat mehr Auslauf als er in seinem engen Gefängnis. Er schaut aus seinem Käfig, ob seine Angebetete in der Nähe ist und ihm sogleich zur Hilfe eilt. Da steht sie schon und befragt einen dieser schleimigen Verkäufer, die Schulze noch mehr als die Anprobe selbst hasst. Endlich! Sie kommt. »Mach die Hose ordentlich zu,« lautet ihre Anweisung. »Zu eng, sie platzt gleich, das ist die falsche Größe,« winselt das schwitzende Modell. Welche Größe es sei? Er vergaß, dies vorab zu prüfen, er will nur fertig werden und wieder dem strammen Beinkleid entsteigen. Das Etikett, das alles weiß, prangt auf der Rückseite der neuen Hose. Die Wärterin schaut. Der Verkäufer ist glücklicherweise mit einem anderen Kunden beschäftigt, dessen Gattin inzwischen eine Kaufentscheidung gefällt hat. Nun, dann versuchen wir die nächste Größe.
Schulze schnauft. Schnell schlüpft er zurück in die Kabine. Dort atmet er auf und tupft seine glühende Stirn mit einem Papiertaschentuch, das Fusseln auf seinem glänzenden Gesicht hinterlässt. Einen Augenblick lang genießt er die Intimität des Käfigs. Er greift zur Hose Nummer Zwei, die ist eine Nummer größer, er kann sie sogar schließen. Gottlob, sie passt. Jetzt schnell hinaus zu seinem Weib. »Sie passt. Die nehmen wir!« sprudelt er hervor.
Schulze protestiert. Bewegungsübungen sind unnötig, er hat sich schon entschieden. Doch seine Frau blickt kritisch und verlangt, er soll ein paar Schritte gehen und sich wie ein Tanzbär drehen. Wozu gehen, die Hose passt doch, und sie ist zudem erschwinglich, wie er diesmal vorab bei der Lektüre des Etiketts festgestellt hat. »Lass uns das Teil doch nehmen!« Er wird demokratisch überstimmt: »Du siehst darin aus wie in einem Kartoffelsack!« – Ei, das will Schulze keinesfalls. Brav trottet er zurück in die Stallung. Jetzt ist er seiner Besten sogar dankbar, hat sie ihn doch vor einem Fehlkauf bewahrt.
Schulze träumt. In wilden Jugendjahren kaufte er seine Hosen allein. Er bevorzugte eine Boutique in einer Szenegegend. Dort berieten ihn rattenscharfe Verkäuferinnen. Probierte er eine Hose, meinte eine langhaarige Blonde mit Mittelscheitel, er sähe darin voll geil aus. Eine hoch toupierte Schwarze bestätigte das lächelnd. Blondie fummelte auf den Knien zwischen seinen Hosenbeinen herum, er freute sich von oben in ihr tiefes Dekolletee. Die Toupierte strahlte ihn dazu tiefgründig an. »Seid Ihr sicher, dass es die richtige Größe ist?« – »Na klar doch. Passt super!« Die Mädels waren vom Fach. Im Kaufrausch erstand der junge Schulze mit Hilfe eines Notgroschens gleich zwei schweineteure Hosen und fühlte sich dabei prächtig. Daheim stellte er vor dem Spiegel fest, dass die neuen Kleidungsstücke rund zehn Zentimeter zu kurz waren. Auch bekam er die Hände kaum in die Taschen. Eine Reklamation bei den beiden Schönen wagte er nicht. Künftig bat er Freundinnen, denen er vertraute, ihn bei Einkäufen zu begleiten.
Schulze rebelliert. Er möchte gern wieder einmal eine knackig sitzende Hose wie in seinen frühen Jahren. Jeans scheinen ihm optimal geeignet. Stoffhosen sind peinlich, sind bürgerlich und nur geeignet für alte Männer, zu denen er frühestens in einer diffusen Zukunft zählen wird. Er wuchtet sich in die nächste Hose, die in den Käfig gereicht wird. Na bitte, sie passt doch ausgezeichnet! Frohgemut öffnet er das Gatter und betritt den Laufsteg. Wichtig schaut er sich selbst in den vielen Wandspiegeln an und prüft sein Ebenbild mit
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