Angriff der Killerkekse. Unglaubliche Reportagen und atemlose Geschichten (German Edition)
gekommen zu sein. Gewöhnt an ein Automobil, das mich dank Satelliten-Navigationssystem zu jeder gewünschten Adresse leitet, habe ich kaum Erfahrung mit Orientierungsmärschen durch unbeschilderte Wälder. Auch mein Kompass aus dem Kaugummiautomaten nutzt wenig, denn in welche Richtung soll ich marschieren? Die Wandergruppe finde ich jedenfalls nicht, und es wird immer später. Natur kann launisch sein.
Im dunklen Tann quält meine Blase ein natürliches Bedürfnis. Diskret stelle ich mich an eine unwegsame Stelle und pinkele auf einen Laubhaufen. Plötzlich knackt es zu meinen Füßen. Ich schaue nach unten. Dort, wo sich ein kleiner See gebildet hat, rumort es gewaltig. Das Laub raschelt, und ein dunkler Schatten bewegt sich. Schnaufend erhebt sich ein monströser Keiler von seinem Ruhelager, schüttelt sich und blickt mich funkelnd an. Heilige Stadtnatur! Ich habe die Ruhe des Allesfressers mit meiner warmen Dusche gestört. Auge in Auge mit dem wilden Eber reiße ich panisch an meinem Hosenstall. Da höre ich hinter mir eine sonore Stimme wispern: »Was für ein prächtiger alter Keiler. Schauen Sie genau hin. Der wiegt mindestens hundert Kilo. Und beachten Sie die gewaltigen Hauer!« ACH DU SCHEISSE: der Förster und seine Wandergruppe! Die Nachtwanderer spähen mit Nachtsichtgeräten in meine Richtung und bestaunen die Wunder der städtischen Natur. Ich weiß nicht, vor wem ich zuerst fliehen soll und drücke mich eng an einen Nadelbaum. Die Gruppe zieht aufgeregt plappernd weiter. Das wilde Schwein schnuppert kurz an mir und dreht dann ab. Mir rinnt kalter Angstschweiß den Rücken herunter, und ich verfluche meine Unvorsichtigkeit. Natur kann unberechenbar sein.
Kaum ist die Gruppe außer Hörweite, schließe ich endlich meine Ladeluke und schleiche mich davon. Den Plan, an der Nachtwanderung teilzunehmen, gebe ich nach dieser Begegnung der peinlichen Art auf. Stattdessen entscheide ich mich für das Biwakieren am Busen der Natur und schlage im trüben Licht einer Taschenfunzel mein Einmannzelt auf. Hätte ich es mir doch zuvor zeigen lassen, als ich es eigens für den Ausflug in die Stadtnatur vom Nachbarn borgte. Aber mein Stolz hinderte mich daran, auf sein freundliches Angebot einzugehen. Nun verheddere ich mich beim Aufbau in Abspannseilen, Haken, Ösen, Heringen und Gestänge. Nach stundenlangem Zerren ziehe ich, von Mücken zerstochen, erschöpft und entkräftet in meine Notunterkunft ein. Ich bin todmüde und überlege noch kurz wegen der wogenden Bewegungen unter meinem Schlafsack, ob ich möglicherweise mitten auf einer Waldameisenstraße campiere. Da schließt mich Morpheus gnädig in seine Arme, und ich bemerke kaum noch, wie das Zelt sanft über mir zusammen fällt. Im tiefen Schlummer phantasiere ich von Dschungelboy und seinen Abenteuern. Mit einer Liane schwinge ich mich über Giftschlangen, tödliche Spinnen und bissige Vierbeiner hinweg und überwinde Fallgruben, Wasser- und Schlammhindernisse. Natur kann abenteuerlich sein.
Am frühen Morgen erwache ich halb erstickt und schweißgebadet. Zu meiner Überraschung zelte ich nur wenige Schritte von einem Seeufer entfernt. Am Ufer lärmt eine Damencombo, die ebenfalls die städtische Natur erkundet. Allerdings reisen die Damen in Booten, die sie geborgt haben. Freundlich werde ich von den mildtätigen Frauen zum frugalen Frühstück an den Gestaden des Großen Wannsees geladen. Dankbar breche ich meine Zelte ab und nehme Platz. Am Seeufer verkoste ich selbst gemachte Marmeladen und einen Topf Honig. Bald tropfen meine Finger von schwerer Süße. Das nenne ich einen zünftigen Tagesbeginn. Das Mahl entschädigt mich für das Chaos des Vortages. Endlich wird Stadtnatur zur Erholung! Die gastfreundlichen Feen laden mich sogar noch zu einer Exkursion zwecks Beobachtung der Wasservogelwelt ein. Ich sage leichtfertig zu. Unter dem Motto »Natürlich paddeln« wollen sie mich an ihrer Wasserwanderung teilhaben lassen und überlassen mir sogar ein kleines Kanu. Unter Hilfestellung besteige ich die schlanke Schaluppe und schiebe mich hinaus auf den See. Die Damen paddeln bereits um die Wette, während ich mich gerade vorsichtig vom Uferrand löse. Nach einigen ungelenken Schlägen entgleitet mir zu allem Überfluss das Paddel. Ich rudere mit beiden Händen im Wasser, um es wieder einzufangen. Dabei werde ich immer weiter vom Ufer und von der Gruppe abgetrieben. Die Wassergötter spielen mit mir Fangen. Wie konnte ich nur so dumm sein,
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