ANGRIFF - Fantastischer Thriller (German Edition)
nicht, diese furchtbare Angst in einem Kind miterleben zu müssen. Sie sah sich hilfesuchend um und erblickte nur gequälte Gesichter, die ihr zugewandt waren, die auf das Telefon starrten, der piepsigen Stimme lauschten. Alle konnten sie es hören.
»… lass nicht zu, dass er mich umbringt! Ich will nicht sterben!«
»Was soll ich tun?«, fragte sie. »Was soll ich nur …?«
Plötzlich verstummte die Stimme wie abgeschnitten, und die abrupte, geisterhafte Stille danach war wie ein Schlag.
Lisl riss sich den Hörer zurück ans Ohr. »Hallo? Bist du noch da? Geht es dir gut?«
Keine Antwort.
Sie ruckelte am Stecker des Apparats. Die Leitung blieb noch ein paar Herzschläge lang tot, dann kam das Freizeichen.
Lisl drehte sich um und starrte ihre Gäste an. Die bleichen Gesichter und die angespannten Mienen spiegelten das, was sie fühlte.
Wo war Will?
Sie sah ihn nicht. Sie erinnerte sich, dass er mit einem Tablett mitten im Raum gestanden hatte, als sie den Hörer abnahm. Sie erinnerte sich an den gehetzten Ausdruck in seinen Augen, als er diesem wahnsinnigen Klingeln lauschte. Wie ein in die Ecke gedrängtes Tier. Wo war er jetzt?
Sie sah sich um und bemerkte ein Tablett mit Würstchen im Schlafrock auf dem Sofatisch.
Draußen vor der Tür hörte sie Reifen quietschen. Durch das Wohnzimmerfenster sah sie Wills alten Chevy wegrasen.
IX
Manhattan
1.
Detective Sergeant Renny Augustino fand eine Nachricht auf seinem Schreibtisch, dass er sich augenblicklich beim Chef melden solle. Er hatte zurzeit nichts Besseres zu tun, daher machte er sich auf zu Mooneys Büro.
Renny ließ sich auf einen der Stühle vor Mooneys kotzgrünem Schreibtisch fallen. Ein kleiner Weihnachtsbaum aus Pappmaché – das Resultat von einem von Mrs. Mooneys Volkshochschulkursen – stand mit wild blinkenden Lämpchen auf einem der Aktenschränke.
»Was liegt an, Chef?«
Der Leiter des Reviers Midtown North, Lieutenant James Mooney, sah von einer Akte auf, die er in beiden Händen hielt. Er war in den Fünfzigern und wirkte mit seinen Hängebacken wie eine Bulldogge. Die Neonröhren an der Decke spiegelten sich auf den kahlen Stellen auf seinem Kopf.
»Ich habe eine Nachricht vom Polizeichef, Augustino«, sagte er mit seiner weinerlichen Stimme. »Er will Sie bei dieser Sonderkommission haben, die gerade ins Leben gerufen wird, um diesen Serienmörder zu fassen.«
»Sind Sie sicher, dass Sie den richtigen Augustino haben?«
Mooney lächelte. Das tat er nicht sehr oft.
»Ja, ich bin mir sicher. Ich habe nämlich noch mal nachgefragt, um ganz sicherzugehen.«
Renny war verblüfft. Der Polizeichef hatte ihn angefordert?
»Na, das ist aber eine Überraschung.«
»Das ist Ihre Chance, Renny. Machen Sie bei dieser Sache einmal alles richtig und Sie sind wieder mit im Spiel.«
Renny sah Mooney an und ihm wurde klar, dass der Chef ihm das wirklich von Herzen gönnte. Das ließ ihn seine Ansicht über Mooney noch einmal überdenken. Er hatte von dem Mann bisher nicht viel gehalten; er war zwar fähig, aber Renny hatte immer gemeint, er kümmere sich zu viel nur um Papierkram. Er war für seine Untergebenen keine Inspiration. Seine Männer mussten selbst die Initiative ergreifen, wenn sie mehr sein wollten als nur stumpfe Bürokraten. Glücklicherweise gab es im Midtown North eine Menge Leute, die genügend Initiative hatten. Aber vielleicht hatte er Mooney falsch eingeschätzt. Vielleicht lag das daran, dass er jedem gegenüber feindselig reagierte, der die Marke eines Detective Lieutenants trug, die ihm eigentlich auch längst zugestanden hätte.
»Ja«, sagte Renny, erhob sich und streckte die Hand aus. »Vielleicht kann ich das ja. Danke.«
Mooney schüttelte ihm die Hand und reichte ihm seine Papiere.
»Sie sollen sich Punkt eins im Präsidium einfinden. Versuchen Sie, pünktlich zu sein.«
Zurück im Dienstraum gratulierten ihm die Kollegen, an denen er vorüberkam. Sam Lang in einem zerknitterten grünen Cordanzug wartete an Rennys Schreibtisch, eine Kaffeetasse in der linken Hand, die andere zum Glückwunsch ausgestreckt.
»Das ist doch mal ein Weihnachtsgeschenk, was, Partner?«
»Was ist hier los?«, fragte Renny, während er Sam die Hand schüttelte. »Bin ich der Einzige in dem Laden hier, der davon nichts gewusst hat?«
»Vielleicht wärst du au courant, wenn du nicht immerzu zu spät kommen würdest.«
Renny funkelte ihn böse an. Er hasste es, wenn Leute Fremdworte benutzten – wenn es nicht gerade
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